Walter Sittler zeigte im Kurhaus schauspielerische Meisterleistung

Kreissparkasse Euskirchen lud zu einem Erich-Kästner-Abend in das Kurhaus Gemünd ein – Vorstandsvorsitzender Udo Becker würdigte Sittler als einen der besten deutschen Schauspieler der Gegenwart

Der deutsche Schauspieler Walter Sittler hielt 450 Gäste im Kurhaus in Gemünd zwei Stunden lang mit seiner autobiographischen Bühnenerzählung über Erich Kästner in Atem. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Der deutsche Schauspieler Walter Sittler hielt 450 Gäste im Kurhaus in Gemünd zwei Stunden lang mit seiner autobiographischen Bühnenerzählung über Erich Kästner in Atem. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

Gemünd – Einen ganzen Abend lang nur Erich Kästner, ja geht denn das?, fragte sich mancher, der am Donnerstagabend im Großen Kursaal in Gemünd Platz nahm. Muss da nicht zwingend auch ein bisschen Ossietzky, Tucholsky, Zweig, Toller, Polgar oder irgendein anderer bekannter Autor, der in den 1920er Jahren für die „Weltbühne“ schrieb, dabei sein, um so einen Abend rund zu machen? Nein, Kästner reicht völlig aus, war die einhellige Meinung am Ende einer der schönsten Veranstaltungen, die das Kurhaus seit langem gesehen hat. Über zwei Stunden rezitierte der bekannte Schauspieler Walter Sittler nicht nur Erich Kästner, er verkörperte ihn geradezu und plauderte mal charmant, mal ironisch, mal bissig, mal emphatisch aus dessen Leben. Ein Hut, ein Regenschirm, ein grauer Trenchcoat und ein paar Briefe, das war alles, was Sittler an Requisiten benötigte, um eine ganze Epoche aus Ruinen auferstehen zu lassen, eine Zeit, die mit der Mobilmachung 1914 begann und von der keiner wusste, wohin sie führte, oder wie Kästner sagt: „Die Zeit fährt Auto, doch keiner kann lenken.“

Es war zunächst das Berlin der 1920er Jahre, in das der junge Kästner als Autor Fuß zu fassen versuchte, welches Sittler durch autobiographische Texte Kästners und einer kongenial komponierten Musik von Libor Síma wiederauferstehen ließ. Während Sittler alias Kästner das „Berlin der Novitäten“ beschrieb, die mehlsackweise Kokain verschnupfenden Bohemiens, die Zeit des Jazz und Charlestons, der Nachtclubs und Kabaretts, präsentierten die sechs Musiker und der Leitung Símas nicht etwa ein Potpourri bekannter Melodien der Zwanziger Jahre, sondern sie erfühlten und erspielten gewissermaßen die Essenz der Musik dieser Zeit. Da wurde kein Ton dem Zufall überlassen, Text und Musik liefen nicht neben-, sondern eng verzahnt ineinander.

Der Gastgeber und Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Euskirchen, Udo Becker (links), ging in einem Interview mit dem Schauspieler der Frage nach, wie viel Kästner in Sittler steckt. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Der Gastgeber und Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Euskirchen, Udo Becker (links), ging in einem Interview mit dem Schauspieler der Frage nach, wie viel Kästner in Sittler steckt. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

Ganz nebenbei und unaufdringlich erfuhren die Zuhörer von Kästners Weg, der vom Glossenschreiber und Rezensenten zum Jugendbuchautor führte, der mit „Emil und die Detektive“ 1928 jenes Buch veröffentlichte, für das er bis heute in aller Welt am meisten bekannt sein dürfte.

Mit Beginn des Nationalsozialismus zeigt sich dann deutlich, dass Kästner anders war als andere Autoren. Bei Goebbels Bücherverbrennung in Berlin ist er als einziger Autor „persönlich“ anwesend. Er deutet das selber später nicht als Mut, sondern eher als Dummheit, da er sich der Gefahr, in der er als „verbrannter Dichter“ schwebte, erst sehr langsam bewusst geworden sei.

Ließ der erste Teil des Abends noch primär die große Geschichte zweier Weltkriege aus der Perspektive Kästners Revue passieren, so zoomte Sittler im zweiten Teil immer näher an den Menschen Kästner heran. Kernthema war dabei sein Verhältnis zu seinen Eltern, besonders zu seiner Mutter. Atemlose Stille herrschte im Saal, als Sittler/Kästner berichtete, wie ein Volltreffer eines englischen Bomberverbands seine Wohnung zerstörte und am selben Tag seine Mutter am Hauptbahnhof eintraf, um ihn zu besuchen. Das lakonische Gespräch zwischen Mutter und Sohn vor den Ruinen des Hauses über das, was für immer verloren war, rührte jeden im Saal.

Mehr und mehr rückte die Familie Kästners in den Mittelpunkt der Reflexionen. Als in Dresden, wo Kästners Eltern wohnen, der Feuersturm losbricht, während er selbst in München festsitzt und nicht verreisen darf, kulminiert für Kästner der Wahnsinn einer Zeit, in der der gesunde Menschenverstand, für den er Zeit seines Lebens eingestanden ist, endgültig zerstört wird. Doch das Leben geht weiter. Die Nachkriegszeit bringt die erhoffte Freiheit, doch es bleibt nur eine „kleine Freiheit“. Kästner muss die Remilitarisierung Deutschlands erleben und bleibt ein Mahner: „Der gesunde Menschenverstand ist nicht der Hanswurst der Politik“. Gleichzeitig fordert er die Menschen in seiner unnachahmlichen Weise weiterhin auf, über die Welt zu lachen.

Für die atemberaubende schauspielerische Leistung Walter Sittlers, für die Musiker und natürlich auch für Regisseur Martin Mühleis gab es am Ende der Veranstaltung „Standing Ovations“. Der Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Euskirchen, Udo Becker, würdigte Sittler als einen der besten Schauspieler Deutschlands und zog den Hut vor dessen immenser Gedächtnisleistung.

Auf die Frage Beckers, wie viel Kästner eigentlich in Sittler stecke, antwortete dieser, dass er vor allem mit Kästners Art zu denken sympathisiere. Kästner schaue zunächst sehr genau hin, fordere aber nicht, dass man so denken müsse wie er, sondern zeige nur etwas und überlasse dann dem Leser, sich daran ein Urteil zu bilden. Außerdem liebe er Kästners große Solidarität mit den kleinen Leuten und den Kindern.

So ist Sittler zusammen mit seiner Frau Pate des Kinderhospiz Bethel, und als Produzent arbeitet er derzeit an einem Projekt unter dem Titel „199 kleine Helden“, das 199 Kindern aus ebenso vielen Ländern zu einem Kaleidoskop zusammenführt. Die Kinder erzählen dabei von der Vielfalt, von ihrem Mut, ihrer Phantasie, ihren Träumen, Ängsten und Hoffnungen und sollen damit einen Blick auf das Potenzial der heranwachsenden Generation ermöglichen.
Gastgeber Udo Becker sah sich am Schluss der Veranstaltung aufgrund der 450 Gäste darin bestätigt, dass es wichtig sei, als Kreissparkasse qualitative und hochwertige Kulturveranstaltungen in der Region anzubieten, denn Kultur gehöre im Kreis Euskirchen mit zum Zusammenleben.

Was die Zuschauer und den Gastgeber besonders freute: Walter Sittler mischte sich nach dem Ende seiner Darbietungen einfach mit unters Volk und stand beim anschließenden Umtrunk der Kreissparkasse für Fragen und Autogramme jedermann zur Verfügung.

Eifeler Presse Agentur/epa

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