Tihange: Kreisbürger sollen vorsichtshalber Jodtabletten erhalten

Landrat Rosenke: „Man kann nicht einfach eine Tablette wie eine Aspirin ausgeben, und das war’s.“ – Menschen über 45 rät die Strahlenschutzkommission, auf Kaliumjodidtabletten zu verzichten

So sehen die Jodtabletten aus, die angeblich bei einem radioaktiven Fallout kurzfristig schützen sollen. Bild: Udo Crespin
So sehen die Jodtabletten aus, die angeblich bei einem radioaktiven Fallout kurzfristig schützen sollen. Bild: Udo Crespin

Kreis Euskirchen – „Nachdem Belgien sich entschieden hat, sicherheitshalber Jodtabletten an alle Menschen im Umkreis von 100 Kilometern rund um das Atomkraftwerk Tihange zu verteilen, soll dies nun auch in den angrenzenden deutschen Kreisen passieren“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung aus dem Kreishaus. Dies habe Landrat Günter Rosenke heute Vormittag bei einem Gespräch mit Innenminister Ralf Jäger in Düsseldorf erfahren. Bei einem atomaren Unfall solle durch die Tabletten die Aufnahme von radioaktivem Jod verhindert werden.

„Im Kreis Euskirchen hat man sich bereits frühzeitig mit dem Thema beschäftigt und vorsichtshalber 120.000 Jodtabletten gelagert“, heißt es weiter. In Kürze solle der Bestand sogar auf 200.000 aufgestockt werden. Geplant sei, die Tabletten, die derzeit noch zentral aufbewahrt würden, kurzfristig auf die elf Kommunen des Kreises zu verteilen.

Bei der Verteilung der Jodtabletten seien aber noch viele Detailfragen zu klären. Landrat Rosenke: „Man kann nicht einfach eine Tablette wie eine Aspirin ausgeben, und das war’s. Wir müssen die Bürger genau informieren.“ Unklar sei noch, wann, wie und wo die Tabletten ausgegeben werden sollen. Zudem enthalte eine Packung sechs Tabletten, jeder Bürger dürfe aber nur eine Tablette erhalten.

„Der Kreis Euskirchen wie auch die anderen betroffenen Kreise werden diese Fragen in enger Abstimmung mit dem Innenministerium klären, um ein einheitliches Vorgehen zu erreichen“, so der Kreis weiter. Bereits in einer Woche soll auf einer Sitzung der Ordnungsamtsleiter des Kreises Euskirchen das weitere Verfahren besprochen werden.

Die Einnahme von Kaliumjodidtabletten verhindere die Speicherung von radioaktivem Jod in der Schilddrüse, weil die Schilddrüse nur eine begrenzte Kapazität an Jod aufnehmen könne („Jodblockade“). Das radioaktive Jod setze sich nicht in der Schilddrüse fest. Es werde über die Nieren ausgeschieden und richte so weniger Schaden an. Allerdings schützten die Jodtabletten nicht vor anderen radioaktiven Stoffen.

Menschen über 45 rät die Strahlenschutzkommission zum Verzicht auf Kaliumjodidtabletten. Mit dem Alter steige nämlich die Wahrscheinlichkeit von unerwünschten Nebenwirkungen, etwa einer funktionellen Autonomie der Schilddrüse. Gleichzeitig sinke die Wahrscheinlichkeit, dass radioaktives Jod das Schilddrüsengewebe schädige.

Bei der Ausgabe von Jodtabletten sei NRW weiter offen für alternative Konzepte, wenn sie dieselbe Schutzintensität wie die bestehenden aufwiesen. Dies habe Innenminister Ralf Jäger nach dem heutigen Gespräch mit Verantwortlichen aus der grenznahen Region in Düsseldorf gesagt.

„Wichtig ist, dass die Jodtabletten im Ernstfall rechtzeitig und sicher von den Menschen in NRW eingenommen werden können.“ Das könne auch durch eine Vorabverteilung an Freiwillige sichergestellt werden. „Zu früh eingenommene Tabletten entfalten aber keine Schutzwirkung. Davor warnt auch die Strahlenschutzkommission“, sagte Jäger. Darüber müssten die Menschen informiert werden.

„Die betroffenen Kreise erarbeiten derzeit alternative Konzepte, um die Bevölkerung sicher mit Jodtabletten im Ernstfall zu versorgen. Das Land unterstützt sie dabei fachlich. Diese Konzepte sollen die Option einer Verteilung in die Haushalte einbeziehen. Sie werden aber auch weiterhin die bislang vorgesehene Verteilung von Tabletten im Ereignisfall berücksichtigen“, heißt es weiter in der Pressemitteilung des Kreises. Damit könnten auch die Haushalte versorgt werden, die vorab keine Tabletten abgeholt hätten oder diese nicht mehr fänden. Außerdem werde die Information der Bevölkerung Bestandteil der konzeptionellen Überlegungen sein. (epa)

3 Gedanken zu „Tihange: Kreisbürger sollen vorsichtshalber Jodtabletten erhalten“

  1. Wenn bei meinem Auto ein Rücklicht nicht funktioniert, dann pfeift mich der TÜV zurück und ich bekomme meine Plakette erst, wenn der Schaden behoben ist. In Tihange dürfen hochsensible Reaktordruckbehälter Tausende von Rissen aufweisen, aber das Kraftwerk darf fröhlich weiter fahren, immer volle Kraft voraus! Hundertausende von Bürger bekommen einfach ein paar Jodtabletten in die Hand gedrückt – und weiter geht‘s! Hauptsache der Betreiber erleidet keinen finanziellen Verlust, der Verlust ganzer Landstriche ist dabei doch Nebensache. So sieht’s aus im Europa des 21. Jahrhunderts: Lobbyisten lassen die Politiker nach ihrer Pfeife tanzen, denn beide verdienen gut daran, und der Bürger muss Jod schlucken.

  2. Ein abgeschriebenes Atomkraftwerk erwirtschaftet rund eine Million Euro am Tag. Wie wenig dieses Geld wert ist, haben wir bei den GAUs von Tschernobyl und Fukushima gesehen.

  3. Das ist doch Wahnsinn. Mit der Ausgabe von Jodtabletten wird ein Zeichen gesetzt, dass der GAU nicht ausgeschlossen ist. Dieser Aktionismus zeigt, wie machtlos die Politik und die Bürger sind. Man muss sich nur mal vorstellen, welche Regionen, die heute dichtbesiedelt sind, auf unabsehbare Zeit unbewohnbar werden, ganz davon abgesehen, wieviele Menschen erkranken und sterben. Unfassbar, das Ganze.

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