Buchrezension: Sarah Binzenbach: „Nächte im Park“

In dem knapp 80-seitigen Büchlein „Nächte im Park“ der in Nettersheim-Pesch geborenen jungen Autorin Sarah Binzenbach wird nicht einfach nur eine Geschichte erzählt. Zu verwickelt schlängelt sich der erzählerische Faden von Seite zu Seite, wird immer wieder unterbrochen durch assoziative Einschübe und Reflexionen. Man hat eher das Gefühl, hier geht es auch gar nicht darum, eine nicht gelungene (Liebes)Geschichte kontinuierlich rekapitulieren zu wollen, sondern vielmehr um die Intention, ein ganz und gar disparates Bewusstsein darzustellen, das zu diesem Misslingen beigetragen hat. Was die Autorin vor allem auszeichnet, ist, dass sie es versteht, atmosphärisch dicht zu erzählen und – so auch vielfach in ihren anderen kleineren Geschichten – mit wenigen Worten beispielsweise die besondere Atmosphäre eines Warteraums in einem Krankenhaus darzustellen.
„Nächte im Park“ toppt dieses sprachliche Vermögen der Autorin noch, wenngleich die kurzen assoziativen Sätze, die ihren Shortstorys den gewissen Charme verleihen, bei einem 80-Seiten-Text zu Lasten der Geschichte selbst gehen, welcher unter den überbordendenden Assoziations- und Reflexionsketten etwas schwer zu folgen ist.
Wir erleben eine Erzählerin (es könnte, so lehrt uns der genderkritische Blick, auch ein Erzähler sein), die – wir bleiben bei der Erzählerin – in einem fragmentierten Bewusstsein gefangen bleibt, in einem geschaffenen „Teufelskreis“, der, so sagt sie selbst, nicht aufhört, „bis ich aufhöre“. Bis ich aufhöre zu existieren, so könnte man fragen, oder bis ich aufhöre, sprachbewusstlos in diesem Chaos weiter zu leben? Da es sich um einen literarischen Beitrag handelt, ist der Zustand der Sprachbewusstlosigkeit ja bereits ein dargestellter und damit ein transformierter, so dass man sicherlich getrost die zweite Antwort geben darf.
Orientierungslosigkeit und Chaos als thematische Schwerpunkte deuten sich bereits in dem vorangestellten Schiller-Zitat an: „Es ist alles so finster – verworrene Labyrinthe – kein Ausgang – kein leitendes Gestirn…“ Dieser Grundtenor zieht sich durch das ganze Buch, allerdings nicht nur im Sinne eines dramatischen schicksalhaften Geschehens, über welches das Individuum die Kontrolle verloren hat, sondern weit mehr in dem Sinne, dass das Leben in vollständiger Seichtheit verplätschert. „Weißt du, eigentlich hätte ich gern jemanden, der mich in tiefe Gewässer zieht, der mich herunterdrückt ins dunkle Nass, der mich komplett umspült mit seinen Gedanken, mit seinem Leben, seinen Träumen, seinen Hoffnungen. Ich will jemanden, der mit mir in tiefe Gewässer geht, statt in den seichten zu verweilen.“
Aber die tiefen Gewässer sind versperrt. Das gesellschaftliche Bewusstsein existiert nur noch als seichte Oberfläche, auf der alle Dinge samt der Menschen Eigenschaften zugewiesen werden, die sie bestimmen und eingrenzen (zwei Seiten lang wird der Leser mit diesen Eigenschaften wie in einem Wörterbuch von „auffallend  ausgemacht“ über „absurd dumm und unsinnig“ bis „seltsam überspannt“ und „sagenhaft“ konfrontiert). In einer solchen Welt stagniert mit der Sprache auch das Bewusstsein. „Nichts bedeutet mehr etwas.“ Wer das erkennt, möchte „raus“, was die Autorin typographisch anschaulich über drei Seiten durch die fortwährende Repetition eines einzigen Satzes („Ich will hier raus“) deutlich werden lässt und gleichzeitig zeigt, dass auch dieses Rauswollen nur Wiederholung einer Phrase ist. Denn „raus“ kommt man nicht ohne Erkenntnis, die hier wiederum folgerichtig von außen in einem Blaise-Pascal-Zitat plötzlich aufscheint, in dem die Menschen aufgefordert werden, ihre Eigenschaften, („Ämter und Geschäfte“), sprich: ihr instrumentalisiertes Dasein abzulegen „und an das zu denken, was sie sind, woher sie kommen, wohin sie gehen.“
Doch wie ist das möglich, wenn sich zeitgenössisches Bewusstsein als Gemengelage aus sprachbewusstloser medialer Weltvermittlung und privater Phraseologie konstituiert? Wenn die Menschen also „Trends hinterherlaufen und nichts sehen“? Wie überleben in Auflösung und Zerfall, wenn Auflösung und Zerfall längst paradoxerweise die Konstituenten des kollektiven Bewusstseins geworden sind? „Ich löse mich auf, beginne zu fallen, ich verschwinde. So viele Rollen gespielt und vergessen, wo der Beginn des Ganzen war.“ Selbst die Liebe weist in einem so fragmentierten Bewusstsein schließlich keinen Ausweg mehr: „Einen Teil seines Selbst im anderen verlieren. Aufbrechen, neu anfangen, wieder verlaufen, umkehren und in die nächste Richtung laufen. Die nächste Richtung. Die nächste Richtung. Und trotzdem immer die falsche.“
Der Ausweg aus einem paralysierten Bewusstsein deutet sich jedoch in der Erzählung selber an. Schon im Titel „Nächte im Park“ wird der Nacht ein geordneter und strukturierter Raum zugewiesen, eben der des Parks. Nichts anderes geschieht in dieser Erzählung, in der sprachlicher Verfall als erzählter Verfall erst als solcher erfahrbar wird. Die sprachlose Wirklichkeit samt zerstörter Kontextualität wird die erzählte Wirklichkeit gegenübergestellt, die trotz aller Brüche letztlich eine sinnvolle (Erzähl)Ordnung garantiert. Am Ende ist es jeder Satz selber in dieser Geschichte, der anschreibt gegen die Sprachbewusstlosigkeit der Gegenwart und Sinn konstituiert, wo die Erzählerin (nicht die Autorin) selbst nicht mehr an diesen glauben mag.
Fazit: Sarah Binzenbachs „Nächte im Park“ stellt den Leser vor manche Herausforderung, manchmal scheint der „Soundeffekt“ ein wenig wichtiger als das Erzählen. Aber für eine gerade einmal 21 Jahre alte Autorin ist dieses Buch beachtlich und sehr lesenswert. Man darf gespannt sein, was da noch kommt und hoffen, dass die Autorin ihre erzählerischen Qualitäten noch etwas weiter ausbaut und uns neben ihrem ausgeprägten Assoziations- und Reflexionsvermögen mit etwas mehr erzählter Geschichte beglückt.
Zur Autorin:

Sarah Binzenbach. Bild: Privat
Sarah Binzenbach. Bild: Privat

Sarah Binzenbach ist 21 Jahre alt und studiert derzeit in Koblenz auf Grundschullehramt. Sie sagt von sich selbst, dass sie bereits in der dritten Klasse ihr „erstes Buch“ zu schreiben begann. 2015 belegte sie beim Eifeler Jugendliteraturpreis den ersten Platz ihrer Alterskategorie. 2017 erhielt sie einen Sonderpreis. 2021 nahm sie beim Young Storyteller Award von story.one und Thalia teil und fand sich mit „Nächte im Park“ in den Top 20 von über 400 Einsendungen wieder. Mittlerweile ist sie selber Jury-Mitglied beim Eifeler Literaturpreis. (epa)
Sarah Binzenbach: Nächte im Park. story.one. 2021. Hardcover. ISBN: 978-3-99087-511-7. 75 Seiten. 14,50 Euro.
 

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