Nach der letzten Film-Szene kam die große Flut

26 Teenager drehten mit professionellem Kamera-Equipment auf dem Islandpferdehof in Wißkirchen ein Musik-Movie – Kurz bevor die Wettersituation sich zuspitzte, handelten die Initiatoren, Lucas und Martijn Theisen, blitzschnell und brachten alle Kinder in Sicherheit

Großen Spaß auf dem Islandpferdehof Wißkirchen hatten 26 junge Leute und ihre künstlerischen und ehrenamtlichen Betreuer rund um Lucas und Martijn Theisen, solange bis die Flut kam. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa
Großen Spaß auf dem Islandpferdehof Wißkirchen hatten 26 junge Leute und ihre künstlerischen und ehrenamtlichen Betreuer rund um Lucas und Martijn Theisen, solange bis die Flut kam. Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa

Kreis Euskirchen/Wißkirchen – Das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof. Schon gar nicht für Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien, mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung. Doch für 26 Teenager zwischen zehn und 15 Jahren traf diese zugegeben recht alberne Lebensweisheit zumindest ein paar Tage lang zu. Sie hatten nämlich auf dem Veybachhof von Dagmar Scholl in Wißkirchen ihr Ferienlager errichtet und genossen das Leben in der freien Natur, mitten unter zahmen und manchmal auch wilden Tieren, was die Insekten anging. Doch kümmerten sie sich keineswegs nur um die Ponys, die täglich gestriegelt und gefüttert werden mussten, sondern sie hatten darüber hinaus einen Kulturauftrag: Sie wollten nämlich inmitten der 120 Vierbeiner – Katzen und Hunde nicht mitgerechnet – einen Musikfilm drehen. Und zwar kein Schmalspurvideo mit dem Handy, sondern ein echtes Movie. Unterstützt wurden sie dabei von Rudi Kurth, einem Filmprofi, der dazu einiges an Technik, darunter sogar einen Kamerakran aufgeboten hatte, um die jungen Leute bestens in Szene zu setzen.

Initiator dieses ungewöhnlichen Jugendprojekts war das im Kreis Euskirchen mittlerweile hinlänglich bekannte Künstler-Ehepaar Lucas und Martijn Theisen. Ihre gemeinnützige Unternehmergesellschaft „Spotlight Experience“ wurde 2019 gegründet, um Kindern und Jugendlichen sowie Geflüchteten und Menschen mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung eine Stimme zu geben.

Zelte vor der Flut Mitten auf dem Ponyhof hatten die Kinder ihr Camp aufgeschlagen, um zehn Tage lang an einem Musikfilm zu arbeiten. Bild: Rudi Kurth
Zelte vor der Flut
Mitten auf dem Ponyhof hatten die Kinder ihr Camp aufgeschlagen, um zehn Tage lang an einem Musikfilm zu arbeiten. Bild: Rudi Kurth

„Das Projekt wurde gefördert aus Landesmitteln, genauer aus dem Topf »Kultur macht stark« und hier aus den Mitteln »Movies in motion«“, berichtete Lucas Theisen. Das Projekt unterteile sich in drei Abschnitte: Feriencamp, Filmerstellung und schließlich die Premiere-Veranstaltung im Kino Lindentheater in Frechen. „Zum Glück hatten wir einen Tag, bevor das Gelände überflutet wurde, alle wichtigen Szenen im Kasten“, so Lucas Theisen. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch seien vorsichtshalber schon alle Sachen der Kinder gepackt worden, um das Camp notfalls schnell auflösen zu können. Nur die Isomatten und Schlafsäcke lagen noch in den Zelten. „Zu dieser Zeit haben wir noch völlig unterschätzt, was da auf uns zukam“, gestand Theisen. Am Mittwochnachmittag habe das Betreuungsteam überlegt, wie man die letzte Nacht im Camp gestalten solle. Die Idee war, entweder die Nacht in der geschützten Reithalle zu verbringen oder das Camp abzubrechen und die Kinder abholen zu lassen. „Die jungen Leute wollten unbedingt bleiben und machten diesem Wunsch mit Nachdruck Luft“, erinnert sich Theisen. Aber dann sei ein Feuerwehrmann gekommen und hätte gesagt, dass sie den Platz besser schnellstmöglich verlassen und die Kinder in Sicherheit bringen sollten. „Da war uns klar, die Sache ist ernst“, so Theisen weiter. Sogleich habe man die Eltern informiert. „Wir haben die Kinder und ihr Hab und Gut dann in die von der Stadt angemieteten höher gelegenen Duschräume der Sportanlage nebenan gebracht“, erzählt Lucas Theisen: „Als die letzten Eltern eintrafen, standen wir in den Umkleiden bereits knöcheltief im Wasser.“

Am Morgen nach der Flut war von den Zelten nicht mehr viel zu retten, die, die noch standen, waren voller Schlamm. Bild: Rudi Kurth
Am Morgen nach der Flut war von den Zelten nicht mehr viel zu retten, die, die noch standen, waren voller Schlamm. Bild: Rudi Kurth

Danach erst wurde die Technik gerettet. Für die Zelte war keine Zeit mehr. „Ich bin heilfroh, dass uns die Wasserlawine nicht in der Nacht überrollt hat“, so Theisen weiter. „Das hätte in einer Katastrophe geendet.“ So beklage man lediglich den Verlust von 22 Vier-Personenzelten und zwei große Gruppenzelten.

„Wir haben den jungen Leuten hier neun Tage lang die Möglichkeit geboten, eine ganz besondere Ferienfreizeit zu erleben. Für einige Kinder war das eine völlig ungewöhnliche Erfahrung, da sie noch nie so etwas wie Urlaub gemacht hatten“, berichtet Martijn Theisen. Da die Inzidenzen gerade niedrig waren, habe man für jeweils zwei Kinder ein Zelt besorgt sowie Luftmatratzen, Schlafsäcke und aufgrund der Wetterlage schließlich auch Gummistiefel.

Auch der Pferdehof sei schwer in Mitleidenschaft gezogen worden und hätte sich in kurzer Zeit in eine Seenlandschaft verwandelt. „Elf Helfer waren hier die ganze Nacht damit beschäftigt, die Pferde in Sicherheit zu bringen“, so Theisen. „Teilweise standen sie dabei bis zur Brust im Wasser.“

Am Morgen nach der Flut war von den Zelten nicht mehr viel zu retten, die, die noch standen, waren voller Schlamm. Bild: Rudi Kurth
Einige Zelte waren dem Erdboden gleich gemacht. Bild: Rudi Kurth

Die 26 Kinder waren über drei Institutionen vermittelt worden. Zum einen vom Verein „Wellenbrecher“, einem anerkannten Träger der freien Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung im Kreis Euskirchen, zum anderen von der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) der Evangelischen Christusgemeinde Königsdorf sowie vom Verein „Veedel“ aus Köln-Neubrück, der sich unter anderem für Kinder aus sozialen Brennpunkten starkmacht.

Vor Ort kümmerten sich um die jungen Leute drei Künstler, zwei Assistentinnen und vier Ehrenamtler. „Besonders stolz sind wir darauf, dass wir mit Ronahi und Jian zwei Ehrenamtliche mit an Bord hatten, die bereits bei unserem Projekt »Home« als Akteure mit dabei waren“, berichtete Martijn Theisen. Aber auch der Ponyhof sei nicht zufällig ausgewählt worden. Denn Hanna Schumacher, die auf dem Islandpferdehof arbeite, habe mit zu den Solistinnen eines anderen Musical-Projekts gehört, bei dem die Thomas-Esser-Berufsschule involviert gewesen sei. „Sie wollte damals weder singen noch tanzen, doch dann gefiel ihr die Arbeit so gut, dass sie sogar solo gesungen hat“, erinnern sich die Theisens. So habe man sich kennengelernt und die Idee mit dem Ponyhof entwickelt. Für Hanna Schumacher sei es eine schlimme Nacht gewesen.

„Wir haben viel Glück gehabt, dass wir das Projekt noch umsetzen konnten, obwohl das Wetter die ganze Zeit über schon extrem regnerisch war und uns einiges abgefordert hat“, so die Theisens weiter. Man habe den jungen Leuten einen Einblick bieten wollen, wie es bei Filmproduktionen so zugeht. Deshalb habe man auf großes „Film-Feeling“ gesetzt mit Kamerakran, Drohne, und einem Kamerabus, der neben den reitenden Kindern hergefahren sei. Dabei sei jede Szene professionell ausgeleuchtet worden. Einen Katastrophenfilm habe man allerdings nicht drehen wollen.

Für die Technik war Rudi Kurth zuständig, der bereits bei großen Filmproduktionen wie „High Life“ mit Robert Pattinson und Juliette Binoche, „Only Lovers Left Alive“, einem Film von Jim Jarmusch mit Tilda Swinton und Tom Hiddlestone in den Hauptrollen, oder dem David-Kronenberg-Movie „Eine dunkle Begierde“ mit den Schauspielern Michael Fassbender und Keira Knightley sowie 36 weiteren Kinofilmen mitgewirkt hat. Seine ungewöhnliche Berufsbezeichnung lautet „Key Grip“, und er ist unter anderem verantwortlich für Aufbau und Sicherung aller kameratechnischen Systeme am Set. Er bedankte sich vor allem bei den beiden Kölner Filmtechnik-Verleihern „Maier Bros.“ und „Cine Mobil“, die dem Jugendprojekt kostenlos Kameratechnik im Verleihwert von 3000 Euro täglich zur Verfügung gestellt hatten.

Die Jugendlichen unterteilten sich in mehrere Gruppen. Die einen waren für Schauspiel zuständig, erarbeiteten Szenen, andere kümmerten sich um Gesang und Tanz. Neben dem professionellen Tänzer Lucas Theisen und Choreograf Martijn Theisen war auch Anna Grah mit von der Partie. Die Kölner Musicaldarstellerin ist Tanz- und Vokalpädagogin und vom Songtext bis zur Aufnahme für alles zuständig. Weiterhin waren mit dabei Lena Sofouglu, die als „gute Seele“ des Projekts vor allem für die gute Laune sorgte, auch wenn im Schlafsack mal ein Ohrenkneifer gefunden wurde, der Regen einem die Klamotten durchweichte und der Wind ein Zelt vom Platz fegte. 

Eifeler Presse Agentur/epa

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