Hier spätestens ahnt man, dass ein Anlass der Geschichte die Flutkatastrophe von 2021 sein könnte. Schließlich kommt die Autorin aus der Eifel. Doch für die Erzählung, die hier nicht nacherzählt werden soll, um den Spannungsbogen für die Leser zu erhalten, ist das historische Ereignis selbstverständlich unwichtig. Und so geht es auch um viel mehr, nämlich um eine Art doppelter Liebesgeschichte, um Eifersucht und Schuldgefühle, um Vergangenes und Gegenwärtiges und vor allem um nicht Ausgesprochenes, das wiederum als Schuld empfunden wird. Kurz, die Flutkatastrophe wird hier zur Metapher für ein schicksalhaftes Geschehen, das einen Menschen sprachlos zurückgelassen hat, während sein Leben einfach weitergegangen ist. Und es geht auch darum, was vor der Katastrophe und danach gesagt und nicht gesagt wurde oder nicht mehr gesagt werden kann. Der Zustand dieser Sprachlosigkeit wird von Zofia erst im Prozess des Schreibens überwunden. Hier gelingt ihr plötzlich, was ihre Alltagsrede nicht vermag, nämlich Erkenntnisbildung über das eigene Schicksal zu leisten und sich in ihrer neuen Beziehung mitzuteilen. Dazu bedarf es allerdings eines anderen Sprechens, das sich als intentionslos erweist. So lassen sich denn auch die Überschriften der 13 Erinnerungsfragmente, aus denen das Buch komponiert ist, hintereinander gelesen als lyrischer Subtext der Erzählung lesen und als Verweis auf jenen anderen Sprachzustand deuten, in dem das Mitzuteilende einzig noch mitgeteilt werden kann.
Sarah Binzenbachs literarische Arbeiten zeugen stets von einer hochgradigen Empfindsamkeit. Geradezu seismografisch registrieren sie die leisesten Schwingungen zwischen den erzählten Figuren. Dabei bleiben die Handlungsverläufe äußerst komprimiert. Auf 60 Seiten vermag sie mehr Atmosphäre zu vermitteln als andere auf 300. Das macht den Reiz dieser Literatur aus, die nicht um jeden Preis in die Breite will, sondern mehr auf die Stille zwischen den Worten als auf langatmiges Erzählen tendiert. Wer nur rasch wissen will, wie die Geschichte weitergeht oder gar endet, der verpasst das Eigentliche dieses Erzählens. Ein Beispiel: „Er (Eddie) sagte einmal, Dana sei wie ein Kristall zwischen all den Kieselsteinen: zerbrechlich und kostbar, sichtbar nur für diejenigen, die genau hinsehen. Man müsse behutsam mit ihr umgehen und sie spüren lassen, dass sie etwas Besonderes ist. Für mich war sie eher wie ein kleiner Stein im Schuh: unscheinbar, schmerzhaft und zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Komprimierter lässt sich Eifersucht bildlich kaum ausdrücken. Und schöner lässt sich auch nicht zeigen, wie sich in unterschiedlichen Sprachbildern unterschiedliche Realitätsempfindungen abzeichnen.
Erst das intentionslose Erzählen („sich in klarem Wasser spiegeln“), das das Geschehene ohne Absichten zur Sprache kommen lässt, ohne Wenn und Aber („Wenn. Wenn. Wenn. Ich hasse dieses Wort.“) schafft Zofia Erkenntnis über die eigenen Gefühle und lässt die Erfahrung zu, dass alles menschliche Leben endlich ist, die Liebe aber als universelle und ungerichtete Kraft überlebt: „Was gestern noch für immer war, ist heute schon nie wieder. Mein Herz hat keine Richtung mehr.“ Sarah Binzenbach: lesenswert wie immer und nebenbei auch mit einem Talent für ungewöhnliche Buchgestaltung.
Sarah Binzenbach: Das wollte ich dir nie erzählen. Story.one 2025. 64 Seiten mit mehreren Illustrationen der Autorin. ISBN: 978-3-7115-9146-3. 18 Euro.
Mehr über die Autorin unter:
www.sarah-binzenbach.de
Eifeler Presse Agentur/epa