Eifel-Literatur-Festival geht in die Sommerpause – Bislang wurden bereits 8600 Besucher bei 12 Veranstaltungen gezählt
Von Anke Emmerling – Mit einem Höhepunkt ist die erste Halbzeit des 13. Eifel-Literatur-Festivals zu Ende gegangen. In der Stadthalle Bitburg untermauerte Gregor Gysi, derzeit Präsident der Europäischen Linken, seinen Ruf als schillernder Politstar und geistreicher Rhetoriker. Angelehnt an seine Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“ erzählte er von seiner Jugend in der DDR, seinen Erfahrungen als Rechtsanwalt sowie Parteivorsitzender und begeisterte damit 807 Zuhörerinnen und Zuhörer.
Wenn Dr. Josef Zierden seinem 13. Eifel-Literatur-Festival im Jargon der aktuellen Fußball-WM zur Halbzeit ein 1:0 für die Literatur attestiert, gilt das nicht nur der rekordverdächtigen Bilanz von insgesamt 8600 Besuchern bei 12 Veranstaltungen. Es gilt im Besonderen dem Halbzeit-Abend selbst. Denn er wird als Begegnung mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit und als Feuerwerk der Schlagfertigkeit, der Eloquenz, der Freigeistigkeit und des Humors in Erinnerung bleiben.
Verantwortlich dafür ist ein Mann, der sein Äußeres einem Blinden als „groß, stark, blond und lockig“ beschreiben würde. Zwar kokettiert Gregor Gysi hier selbstironisch mit dem Gegenentwurf zu seiner tatsächlich kleinen und barhäuptigen Erscheinung. Doch der taugt durchaus als Metapher für die Wirkung seiner Person. Der 70-Jährige strahlt starke Präsenz und wache Vitalität aus, dazu eine lodernde Lust an verbaler Mitteilung. Er schnappt nach dem Mikrofon („das einzige, das Politiker sich gerne vorhalten lassen“) und jedem Stichwort, dass ihm sein Begleiter und Moderator Hans-Dieter Schütt zuwirft.
Wie sähe sich Gysi als Alterspräsident des Bundestages? Er ernenne sich selbst, genieße, dass die Union einmal für ihn aufstehe (das habe er verdient) rede alle in Grund und Boden, und dann sei sein Job beendet. Anzumerken hat Gysi allerdings, dass er niemals der AfD wegen die Geschäftsordnung des Bundestages bezüglich der Definition des Alterspräsidenten (von lebensältestem zu dienstältestem Abgeordneten) verändert hätte. „Das mit der AfD muss man eben aushalten“. Und es folgt ein weiteres seiner vielen politischen Statements an diesem Abend, die durchaus für flammende Wahlkampfreden taugen würden: „Linke und Konservative in Deutschland sind mir zu eng und zu ideologisch geprägt“.
Er selbst würde durchaus ein Bismarck-Denkmal einweihen und sich wünschen, dass ein CSU-Politiker ebenso mit einer Clara-Zetkin-Straße verfahren würde. In diesem Zusammenhang appelliert er, Karl Marx als großen Denker und Befreiungstheoretiker zu würdigen. „Man muss ihn von seinem Missbrauch befreien, dann kann man sich auch mit ihm auseinandersetzen“ und – mit Seitenhieb auf Trier – „ eine Universität nach ihm benennen“. Gysi führt die eigene Fähigkeit zu aufgeschlossenem Denken auf seine familiäre Prägung zurück, von der er ausführlich erzählt. Seine Eltern, aktive Gegner der Nazis, bekleideten in der jungen DDR Funktionen in Politik und Kultur. Der Vater amtierte einige Jahre als Kulturminister, die Mutter war Verlegerin. Sie besaßen tausende Bücher und pflegten auch nach dem Mauerbau intensive internationale Kontakte.
Sie hatten zudem illustre Verwandtschaft in Europa: In London lebte Gysis Tante, Literatur-Nobelpreisträgerin Doris Lessing. Hans-Dieter Schütt stellt die Frage, die spätestens hier auch den Besuchern auf den Nägeln brennt: Wie gelingt es jemandem, der in einem solchen Milieu freigeistig aufgewachsen ist, sich in einem ideologisch-diktatorischen System zu behaupten? Gysi beantwortet sie mit seiner Berufswahl. „Rechtsanwalt, das war die Nische, die ich brauchte, um widersprechen zu können“. In dieser Funktion habe er Regimekritiker wie Robert Havemann und Rudolf Bahro verteidigt und trainiert, was ihm später in der Politik sehr diente: gründlich zu analysieren, für die Gegenseite mitzudenken, ihre Schwächen zu erkennen und zu nutzen sowie komplizierte Sachverhalte und Zeitgeist griffig zu übersetzen. Und er habe gelernt, sich mit psychologischer Raffinesse auch gegen reichlich vorhandenen Gegenwind zu stellen, zum Beispiel durch Selbstironie, der „höchsten Form der Arroganz“.
Von den Erfolgen, die er damit erzielt habe, berichtet er mit Stolz, zum Beispiel davon, die ehemalige PDS durch die Wendezeit in eine mittlerweile etablierte linke bundesrepublikanische Kraft überführt zu haben. Er habe sich damals als ihr Anwalt verstanden und deshalb die Führungsrolle übernommen. Heute wolle er nicht mehr am Ruder stehen. „Ich habe aufgehört, als ich besonders gefragt war“. Das unterscheide ihn von den in der Demokratie aufgewachsenen Politikern, die, wie Angela Merkel, den richtigen Zeitpunkt zum glanzvollen Abtritt verpassten. Er kämpfe aber weiterhin für Veränderungen, weil ihm an Frieden, demokratischer, sozialer Gerechtigkeit und Ökologie gelegen sei.
Gysis Ausführungen werden von viel zustimmendem Zwischenapplaus begleitet. Und sie machen den Titel der Autobiografie, in der er seine Geschichte verewigt hat, sehr glaubhaft: „Ein Leben ist zu wenig“. Als reichten die Impulse nicht, die der Autor in seinen Erzählungen vermittelt hat, gibt er seinem Publikum noch konkrete Empfehlungen mit auf den Weg, den jungen Leuten: „Ihr müsst rebellischer sein“, den Menschen mittleren Alters: „Lasst die Rebellion der Jugend zu“ und den Älteren: „Sie müssen nicht alles vererben, Sie können Ihr Geld auch ausgeben“ sowie: „Reden Sie nicht über Krankheiten, davon wird man nicht gesund“. Mit Gelächter und stürmischem Applaus endet dieser denkwürdige Auftritt.