Gastbeitrag Zum Tod des Gründungsdirektors des Kommerner Freilichtmuseums, Dr. Adelhard Zippelius, ein Nachruf von Dr. Josef Mangold, Leiter des LVR-Freilichtmuseums Kommern
Der Gründungsdirektor des LVR-Freilichtmuseums Kommern, Dr. Adelhard Zippelius, ist am 9. Mai im Alter von 97 Jahren gestorben. 23 Jahre lang, von 1958 bis 1981, führte Zippelius den Auf- und Ausbau des Freilichtmuseums, das für das ganze Rheinland in der Ausdehnung der ehemaligen preußischen Rheinprovinz zuständig ist. Dabei entwickelte er das Museum am Rande der Eifel nicht nur zum zweitgrößten Freilichtmuseum in Deutschland, sondern auch und zu einem der führenden und wegweisenden Freilichtmuseen in Europa.
Adelhard Zippelius wurde am 20. Juni 1916 als Sohn einer Kunstmalerin und eines Architekten in Karlsruhe geboren. Das Studium der Prähistorischen Archäologie, Geologie und Volkskunde schloss er 1948 mit seiner Dissertation „Der Hausbau der Hallstatt- und Latènezeit im südlichen Mitteleuropa“ an der Universität Göttingen zum Dr. phil. ab. Kurz darauf wurde er vom Rheinischen Landesmuseum in Bonn mit der Erforschung und Bestandsaufnahme von Bauernhäusern und –höfen am Niederrhein beauftragt. Seine bis 1952 durchgeführte Inventarisation niederrheinischer ländlicher Baudenkmale sollte später einen der wesentlichen Grundsteine für den Aufbau eines rheinischen Freilichtmuseums bilden: Fast alle der heute in der Museumsbaugruppe „Niederrhein“ gezeigten Baudenkmale wie Hallenhäuser, Kornspeicher und Windmühlen, allesamt jahrhundertealte Paradebeispiele früherer niederrheinischer Baukultur und Landwirtschaft, wurden im Zuge der damaligen Inventarisation nicht nur entdeckt und dokumentiert, sondern auch schon für eine spätere museale Verwendung „reserviert“.
1956 wurde Zippelius vom damaligen Direktor des noch jungen Landschaftsverbandes Rheinland, Dr. Udo Klausa, mit der Ausarbeitung einer „Denkschrift über die Notwendigkeit eines Rheinischen Landesmuseums für Landes- und Volkskunde“ beauftragt. Mit diesem Gutachten, das später auch die Gründungen von Freilichtmuseen in Baden-Württemberg und Bayern begünstigen sollte, war der Grundstein für ein das ganze Rheinland und dabei weit über die Landesgrenzen hinaus zuständigen Museums der Alltagskultur gelegt. Im März 1958 beschloss die Landschaftsversammlung des Landschaftsverbandes Rheinland die Gründung des Freilichtmuseums in der Gemeinde Kommern.
Zippelius wurde zu seinem Direktor berufen.
Mit unglaublicher Schnelligkeit leitete Zippelius die Translozierung von Baudenkmalen in das Museumsgelände und den Wiederaufbau dort. Bereits am 20. Juli 1961 konnte auf dem Kommerner „Kahlenbusch“ mit der Windmühle aus Spiel bei Düren und elf weiteren, z.T. komplett eingerichteten Einzelbauten in der Baugruppe „Eifel – Köln-Bonner Bucht“ der erste Teilabschnitt des Freilichtmuseums eröffnet werden. Ebenso zügig schritt die Umgestaltung des gesamten Museumsgeländes in eine die jeweiligen Teilregionen des Rheinlandes abbildende „Historische Kulturlandschaft“ voran.
Mit der konsequenten Einbindung der Natur in die museale Darstellung früherer Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse war Zippelius zu einem Innovator in der Szene der europäischen Freilichtmuseen geworden. Waren bis dahin in dem vorherrschenden Freilichtmuseumstyp des „Parkmuseums“ idealtypische, das ländliche Bauhandwerk repräsentierende Baudenkmale nebeneinander präsentiert worden, so stellte er in Kommern konsequent seine damals sehr visionären Ideen einer Verklammerung von Natur und Kultur, von Mensch und Umwelt, von Wohnen und Arbeiten zu einem funktionalen Ganzen gegenüber. Durch die Anlage regionaltypischer Dorfstrukturen mit Gebäuden, Äckern, Wiesen und Weiden schaffte er für das Museumspublikum nachvollziehbare Einblicke in den Alltag der Menschen in früherer Zeit.
Die Zeugnisse historischer Alltagskultur zu retten, die damals dramatisch im schwinden begriffen waren, stand für Zippelius im Mittelpunkt seines Wirkens. Ebenso wichtig war ihm, die Ergebnisse der damaligen Forschungen an die Besucher zu vermitteln. Vehement setzte er sich gegenüber der Politik, aber auch in der internationalen Museumsszene für das Museum als Stätte wissenschaftlicher Forschung und Bildung ein. Unter seiner Leitung entwickelte sich im Freilichtmuseum Kommern schon Mitte der 1970er-Jahre mit Informationsräumen, Lehrfilmen, Handwerksvorführungen, Rollenspielen von Schülern und speziellen Angeboten für bestimmte Zielgruppen, darunter auch für Jugendliche mit geistiger Behinderung, eine für damalige Verhältnisse innovative Museumspädagogik, die Vorbildfunktion für viele Freilichtmuseen im europäischen Raum hatte. Immerhin bekam Kommern damals die erste museumspädagogische Planstelle in einem Freilichtmuseum überhaupt. Zugleich setzte Zippelius gelegentlich auch schon auf – wie man heute sagen würde – Events, die stets aber auf wissenschaftlicher Grundlage in engstem Zusammenhang mit der musealen Vermittlungsaufgabe stehen sollten. Sorgsam inszenierte Theateraufführungen mit sozialhistorischer Thematik, etwa die Darbietung von Stoffen der Eifel-Schriftstellerin Clara Viebig, sind hier ein Beispiel.
Von Anfang an verfolgte Adelhard Zippelius aber auch das Ziel, Kommern über die freilichtmuseale Vermittlung vergangener bäuerlicher Lebenswelt hinaus zu einem alle Bereiche der Alltagskultur abdeckenden Landesmuseum werden zu lassen. Mit der Ausstellung „Volkskunst im Rheinland“ konnte 1968 die erste Ausstellungshalle eröffnet und damit die ein Jahr spätere Umbenennung des Museums in „Rheinisches Freilichtmuseum und Landesmuseum für Volkskunde“ eingeleitet werden. Mit der Fertigstellung weiterer drei Ausstellungspavillons 1977 verfügt das Kommerner Museum gegenüber allen anderen Freilichtmuseen bis heute über die größte Ausstellungsfläche unter Dach.
Zippelius richtete schon früh seinen Blick auch auf die Zusammenarbeit mit den Museen der Nachbarländer. Bereits Mitte der 1960er-Jahre regte er die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Europäischer Freilichtmuseen“ an, aus der sich später der in der ICOM organisierte „Verband der Europäischen Freilichtmuseen“ entwickelte, den er einige Jahre als Präsident leitete.
Bis zum Eintritt in den Ruhestand 1981 hatte Zippelius nicht nur 82 Baudenkmale nach Kommern transloziert und von diesen 61 wieder aufgebaut, sondern insgesamt auch rund 44.000 Objekte in das Museumsinventar aufnehmen können. Darunter waren auch international bedeutsame Kollektionen wie die Kamin- und Ofenplatten-Sammlung Wintrich und die Puppenstubensammlung von Maria Junghanns, die um 1900 als die bedeutendste Sammlung ihrer Art neben der des britischen Königshauses galt.
Mit Ausstellung dieser Sammlung, aber etwa auch erworbener Kollektionen von Klassizismus- und Jugendstil-Keramik aus den Bonner Fabrikationen von Mehlem, Wessel und Villeroy & Boch sowie mit anderen Themenausstellungen erschloss Zippelius den Museumsgästen auch die vergangene städtisch-bürgerliche Lebenswelt.
Das LVR-Freilichtmuseum Kommern hat sich in den letzten Jahren bei der Darstellung des vergangenen Alltags weit über die bäuerliche Lebenswelt hinaus zugleich auch zu einem Museum der Zeitgeschichte, also der noch durch lebende Zeitzeugen dokumentierbaren jüngeren Vergangenheit entwickelt. Auch dafür hat schon Zippelius die Grundlagen geschaffen: 1979 kaufte er weit über einhundert Produkte des damals zeittypischen Alltagsdesigns, wie Flaschenöffner, Nylon-Strumpfhose, Pappteller, Taxischild, Krankenkassenbrillengestell. Nach Besichtigung der Ausstellung befand eine Besucherin: „Das ist einerseits verrückt, andererseits richtig aus historischen Gründen.“
Adelhard Zippelius war ein Museumsmann mit klaren Vorstellungen. Und er war ein Mann mit Weitblick, der über so manche kurzlebige museale Trends hinweg reichte. Wie kaum ein anderer hat Zippelius mit seinen klaren Aussagen zu den Aufgaben eines Museums in der internationalen Szene der Freilichtmuseen Beachtung gefunden. Auch wenn sich das Museum in Kommern programmatisch weiterentwickelt hat, eines steht fest: Zippelius‘ Grundsätze gelten weiter.