„Im syrischen Bürgerkrieg sind 24 Konfliktparteien verwickelt“

„Engagiert für Geflüchtete“ holte Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz nach Euskirchen – Katholische Kirche in Deutschland stellte seit 2014 über 435 Millionen Euro an Sondermitteln zur Verfügung

Freuten sich über den großen Zulauf: Peter Müller-Gewiss (v.l.). Refernt Matthias Kopp, Annette Kleinertz undRoland Kuhlen. Bild: Carsten Düppengießer
Freuten sich über den großen Zulauf: Peter Müller-Gewiss (v.l.). Refernt Matthias Kopp, Annette Kleinertz undRoland Kuhlen. Bild: Carsten Düppengießer

Euskirchen – Unter der Überschrift „Christlicher Einsatz für den Frieden im Nahen Osten“ war jetzt der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz und Nahost-Experte Matthias Kopp in Euskirchen zu Gast. Im vollbesetzten Forum St. Matthias gab der studierte Theologe und Archäologe, im Rahmen der Info-Reihe „Engagiert für Geflüchtete“, interessante Einblicke in die komplizierte Welt des Nahen Ostens.

„Engagiert für Geflüchtete“ ist eine Kooperation des Kommunalen Bildungs- und Integrationszentrums des Kreises Euskirchen (KoBIZ) sowie beider Caritasverbände der Region und wird unterstützt durch das Katholische Bildungswerk und das Landesprogramm KOMM AN.

Kopp beschrieb, dass die Grundlinien für die heutigen Konflikte bereits vor über 100 Jahren in der Kolonialzeit gelegt worden sind. Weiter ging er auf den UN-Teilungsplan für Israel und Palästina von 1947 und die seither erfolgte Entwicklung ein. „Auch wenn Palästina im Augenblick etwas aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten ist, sind die Konflikte in der Region nur vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts zu verstehen“, so Kopp.

Daneben nannte Kopp noch eine weitere Konfliktursache: „Kriege werden in der Region auch zukünftig wegen des Wassers geführt werden.“ Er machte dies am Beispiel der Flüsse Euphrat und Tigris deutlich. Diese würden von der Türkei und Syrien aufgestaut, so dass im Irak schließlich nur noch ein Rinnsal ankomme.

All diese Entwicklungen haben, laut Kopp, bereits in der Vergangenheit dazu geführt, dass Millionen Menschen aus ihrer angestammten Heimat geflohen sind. Allein in Jordanien leben, bei einer Gesamtbevölkerung von 6,5 Millionen Menschen, rund eine Million Palästinenser. „Hier sind in den letzten Jahren durch den Bürgerkrieg noch einmal hunderttausende syrische Flüchtlinge hinzugekommen“, betonte der Experte. „Im größten Flüchtlingslager des Landes leben rund 135.000 Menschen, 45.000 von ihnen Kinder. Die durchschnittliche Verweildauer in dem Lager beträgt 17 Jahre, man kann hier von einer Lost Generation sprechen.“

In den syrischen Bürgerkrieg seien 24 Konfliktparteien verwickelt. Die Arbeitslosenquote sei seit Kriegsbeginn auf rund 50 Prozent gestiegen, das Bruttoinlandsprodukt auf ein Drittel des Vorkriegsniveaus gesunken. Es gäbe allein 7,6 Millionen Binnenflüchtlinge, jeder 10. Syrer verlasse das Land.

Dass der IS in Syrien unter Druck geraten ist, habe dazu geführt, dass die Terrororganisation nach Osten, etwa nach Afghanistan, aber auch in den Westen, in den Gaza-Streifen, ausweiche. Hier komme ihr fatalerweise der Ausgleich zwischen der Hamas und der Fatah zugute. „Dadurch ist eine Lücke entstanden, in die der IS nun hineinstößt“, erklärte Kopp.

All dies verursache wieder neue Flüchtlingsströme, unter denen sich auch viele Christen befänden. „Mit christlichen Werten ein Gerüst anbieten, um Fluchtursachen zu bekämpfen“, so beschreibt der Nahost-Experte die Aufgabe der Kirchen in der Region. Neben dem Einsatz der christlichen Wohlfahrts- und Hilfsorganisationen, wie etwa Caritas International, sieht er hier vor allem den Einsatz im Bildungs- und Sozialbereich durch die verbliebenen christlichen Gemeinden im Fokus. „Allein im palästinensischen Autonomiegebiet werden, bei einem christlichen Bevölkerungsanteil von gerade einmal 1,7 Prozent, 85 Prozent der Waisenhäuser, 72 Prozent der Altenheime und 65 Prozent der Krankenversorgung durch Christen geleistet.“ Die katholische Universität von Bethlehem habe 80 Prozent muslimische Studenten, die nach ihrer Ausbildung ihren Beitrag zum Aufbau der Region leisten könnten.

Aber auch auf politischem Gebiet sei der Vatikan tätig. Bereits sechs Monate nach seiner Wahl habe Papst Franziskus auf der Mittelmeerinsel Lampedusa der Weltöffentlichkeit das Flüchtlingsproblem vor Augen geführt, indem er symbolisch einen Blumenkranz ins Meer geworfen habe. Der Heilige Stuhl nutze intensiv die Möglichkeiten der Diplomatie in der Region, um die Situation der Menschen zu verbessern. Auch wenn eines Tages Friedensgespräche in Syrien möglich werden sollten, bietet sich der Vatikan als Vermittler an. „Die Botschaft des Vatikans ist die einzig verbliebene westliche Botschaft in Syrien. Die Kirche lädt alle Konfliktparteien ein, an diesem Ort zu verhandeln“, betonte Kopp.

Nach rund eineinhalb Stunden beendete der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz seinen Vortrag und lud zur anschließenden Diskussion ein. Moderiert durch Peter Müller-Gewiss von der Caritas Euskirchen, entspann sich ein angeregtes Frage-und-Antwort-Spiel rund um Fluchtursachen, persönlichen Erfahrungen mit Geflüchteten und der Frage nach der Rolle der Kirchen. Hierzu führte Kopp aus, dass allein die katholische Kirche in Deutschland seit 2014 über 435 Millionen Euro an Sondermitteln zur Verfügung gestellt habe. In 1381 kirchlichen Gebäuden hätten 28.000 Geflüchtete Unterkunft gefunden und mindestens 100.000 Ehrenamtliche hätten sich in der Flüchtlingshilfe bislang engagiert.

„Eine beeindruckende Zahl. Auch heute sind viele Menschen hier, von denen ich weiß, dass sie sich ehrenamtliche für Geflüchtete einsetzen“ so Müller-Gewiss. „Dies und die Tatsache, dass im Forum St. Matthias alle 50 bereitgestellten Stühle besetzt waren, zeigt, das nach wie vor hohe Interesse an der Info-Reihe“, erklärte Roland Kuhlen vom KoBIZ. Gemeinsam mit Müller-Gewiss und Annette Kleinertz, als Vertreterin der Pfarrgemeinde St. Martin, bedankte er sich bei Matthias Kopp und lud ihn ein, für die nächste Runde der Info-Reihe Euskirchen erneut zu besuchen. (eB)

 

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