Raoul Schrott sorgte für einen faszinierenden Festival-Abend in Bitburg

Von Anke Emmerling Der 54-jährige Literaturwissenschaftler berichtete von seiner Arbeit zum Buch „Erste Erde. Epos“

Raoul Schrott sprach in Bitburg über die Arbeiten zu seinem neuen Buch. Bild: Harald Tittel/ELF
Raoul Schrott sprach in Bitburg über die Arbeiten zu seinem neuen Buch. Bild: Harald Tittel/ELF

Bitburg/Eifel – Einen herausragend spannenden, gehaltvollen und unterhaltsamen Abend durften die Gäste des Eifel-Literatur-Festivals beim Auftritt des österreichischen Schriftstellers Raoul Schrott im Haus Beda in Bitburg erleben. Dass Besonderes von dem 54-jährigen promovierten Literaturwissenschaftler zu erwarten war, lag sicher nicht nur für diejenigen auf der Hand, die zur seiner Lesung sehr weite Wege aus Niedersachsen oder den Niederlanden auf sich genommen hatten. Schließlich ist Raoul Schrott als Ausnahme-Autor mit hohem, universalistischem Anspruch bekannt.

Er hat sich mit der Poesie von ihren Ursprüngen in der Antike bis zum Dadaismus befasst, antike Epen übersetzt und immer wieder das Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften zueinander thematisiert. Nach Bitburg hat er ein Buch mitgebracht, das als Opus Magnum dieses jahrzehntelangen Prozesses der Auseinandersetzung und Erkenntnis gelten kann. Es heißt „Erste Erde. Epos“, umfasst 850 Seiten und ist nichts weniger als das kühne Unterfangen, vom Urknall an die gesamte Entwicklungsgeschichte der Erde auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse poetisch-literarisch umzusetzen. Nun hätte auf der Hand gelegen, dass Raoul Schrott Passagen aus diesem in Mischform aus Prosa und Lyrik sowie Kleinschreibung verfassten Werk vorliest. Aber er sagt: „Welches Kapitel soll ich lesen? Es ist doch alles relevant“.

Festivalleiter Dr. Josef Zierden stellte den Autor Raoul Schrott im Haus Beda den Gästen vor. Bild:  Harald Tittel/ELF
Festivalleiter Dr. Josef Zierden stellte den Autor Raoul Schrott im Haus Beda den Gästen vor. Bild: Harald Tittel/ELF

Er entscheidet sich stattdessen, über seine Arbeit zu erzählen, um den Leserinnen und Lesern die Verortung des Buches zu ermöglichen. Das macht er derart mitreißend, dass ihm das Publikum an den Lippen klebt. Am Anfang erklärt er seine Intention: Beschäftigt habe ihn, warum sich Literatur fast ausschließlich um uns Menschen selbst ranke, nicht aber um die „Bühne Welt“ auf der wir uns bewegen. Wir seien in drei Denkweisen verhaftet, die ohne Verbindung zueinander stünden und daher verschiedene Ansichten der Welt lieferten: Naturwissenschaften, Alltagskultur und Religion. Ihm selbst aber sei es darum gegangen, umfassend alles wissen zu wollen, „warum ich bin wie ich bin, wo ich herkomme, warum Pflanzen grün sind – ich wollte Antworten auf die ganzen Kinderfragen“.

Aber wie geht man an ein solches Projekt heran? Abgesehen vom kaum fassbaren inhaltlichen Umfang von 13,8 Mrd. Jahren – Urknall bis Menschwerdung – in welcher Zeit, von welchem Geld ließe es sich realisieren? Schrott schildert so locker wie humorvoll, wie er bei der Bundeskulturstiftung vorsprach: „Mein Name ist Schrott, ich möchte gerne ein Buch schreiben…“, und tatsächlich mit einem Darlehen versehen wurde, das an einen Bildungsauftrag gekoppelt war (beispielsweise Konzeption einer Hörspielreihe im öffentlich rechtlichen Rundfunk unter Mitwirkung von Wissenschaftlern). Damit war aber noch nicht das Problem der literarischen Form gelöst. Der Verleger habe zu Prosa geraten, die sei ihm aber zu geschwätzig, setze permanent Wirklichkeit voraus und münde in uferlose Erklärungen, erläutert Schrott. Er habe eine Sprache finden wollen, die die Dinge gänzlich zugänglich mache, und habe an Poesie, Metaphern gedacht. Gedichtform jedoch hätte das Risiko geborgen, die Natur noch weiter zu verrätseln.

Raoul Schrott erfüllte auch zahlreiche Signierwünsche. Bild: Harald Tittel/ELF
Raoul Schrott erfüllte auch zahlreiche Signierwünsche. Bild: Harald Tittel/ELF

„Natur besitzt weit mehr Fantasie als der Dichter, man kann sich ihr mit Sprache bestenfalls nähern“, sagt der Autor, er habe sich daher mit der Bezeichnung „Epos“ für eine Mischform zwischen Prosa und Gedicht entschieden. Die Kleinschreibung fungiere als ästhetisches Prinzip, solle unnötige Gewichtungen vermeiden und leichte Lesbarkeit ermöglichen. Blieb schließlich noch die Frage der inhaltlichen Vorgehensweise. Weil es ihm nicht um einfache Verbrämung von Naturwissenschaft mit Lyrik ging, sondern um die Beziehung zwischen Mensch und Welt, sei ihm klar gewesen, dass er sich im Vorfeld alles, für ihn neue, Wissen selbst aneignen müsse, sagt Schrott. Dafür ist er um die ganze Welt gereist, hat den „Stationenweg“ der Evolution zurückgelegt. In Island beispielsweise tauchte er in Thermalschlote, um die Stoffwechselprozesse nacherleben zu können, die zur ersten Bildung von DNA geführt haben. Um nicht nur anhand seiner eigenen Erfahrungen darzustellen, wie sich durch gewonnenes Wissen die Beziehung zur Welt ändert, habe er 28 Figuren mit unterschiedlichen Positionen eingeführt. Die Erkenntnisse aus Island zum Beispiel verdeutlicht eine Forscherin, die das Verständnis für ihre eigene Brustkrebserkrankung in besagten biochemischen Prozessen suchte.

Es ist ein Genuss, Raoul Schrott zuzuhören. Denn egal, ob er gerade ein eigenes Reiseerlebnis schildert, in einem Evolutions-Schnellexkurs erklärt, dass wir letztendlich vom Geißeltierchen abstammen und ohne ständige Migration nicht die wären, die wir sind, spricht aus ihm ein Mensch mit ansteckendem Wissensdurst, Humor, Authentizität und emotionaler Beteiligung. Besonders angenehm fällt auf, dass dieser Mann mit all seinem Intellekt und nachdem er es geschafft hat, eine solch verwegene Herkulesaufgabe wie „Erste Erde“ zu bewältigen, ganz und gar geerdet erscheint. Vielleicht äußert sich gerade in dieser Bodenhaftung ein Ergebnis der Arbeit am Buch, über das er sagt: „Es hat mein Leben verändert“.

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