„Mit dem Corona-Chaos der Politik kommt die Kulturbranche nicht vor Herbst in die Gänge“

Dr. Josef Zierden, der Leiter des Eifel Literatur Festivals, bemängelt die Corona-Politik von Bund und Ländern, die die Kultur immer mehr ins Abseits drängt. Bild: Privat
Dr. Josef Zierden, der Leiter des Eifel Literatur Festivals, bemängelt die Corona-Politik von Bund und Ländern, die die Kultur immer mehr ins Abseits drängt. Bild: Privat

Die „Eifeler Presse Agentur“ sprach mit dem Leiter des Eifel Literatur Festivals, Dr. Josef Zierden, über die „kulturelle Dürre“ in Zeiten von Corona

EPA: Herr Dr. Zierden, jahrelang ausverkaufte Häuser, Zehntausende von literaturbegeisterte Zuhörer, das Eifel Literatur Festival war bislang eines der größten Festivals für Autoren in Deutschland. Doch seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat man das Gefühl, man spreche, um es mit Stefan Zweig zu sagen, von einer „Welt von gestern“. Wie sehr schmerzt Sie persönlich die derzeitige Lage?

ZIERDEN: Ja, das stimmt. Die Welt immer neuer Besucherrekorde gehört zur „Welt von gestern“. Das heißt: So schnell können wir das pandemiebedingt nicht mehr erleben. Das macht immerhin dankbar, dass es über 25 Jahre möglich war. Bei der Arbeit am Jubiläumsbildband des Festivals 2020 habe ich daher ganz bewusst solche Fotos mit Besucher-Rekordkulissen gewählt. Aus Dankbarkeit für 25 wunderbare Jahre. Für 2021 habe ich mit maximal 25 Prozent der sonst üblichen Besucherzahl gerechnet. Nicht einmal die kann es derzeit geben. Kulturveranstaltungen dürfen nur ohne Publikum stattfinden, sprich: allenfalls digital. Da sitzen alle Kulturveranstalter nicht nur in Deutschland in einem Boot. Was wieder tröstet und demütig macht.

Seit 22 Jahren organisiert Dr. Josef Zierden mit großer Leidenschaft das Eifel Literatur Festival. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Seit fast einem Vierteljahrhundert organisiert Dr. Josef Zierden mit großer Leidenschaft das Eifel Literatur Festival. Archivbild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

EPA: Während der Pressekonferenz zum 15. Eifel Literatur Festival sagten Sie, Sie rechneten damit, dass das Coronavirus uns noch viele Jahre erhalten bleiben könnte. Dennoch sei eine Ausdehnung der „kulturellen Dürre“ wie 2020 auf viele Jahre hinaus keine Antwort auf die Pandemie. Sie zeigten sich vielmehr überzeugt, mit den richtigen Hygienekonzepten 2021 wieder öffentliche Lesungen anbieten zu können. Wie enttäuscht sind Sie darüber, dass den politisch Verantwortlichen auch nach einem Jahr Pandemie nicht sehr viel mehr eingefallen ist als „Wir bleiben zuhause“?

ZIERDEN: Dass das Virus mit immer neuen Mutanten die Welt in Atem hält, war zu erwarten. Dass die Politik nicht zuletzt in Deutschland so grottenschlecht das Impfen und Testen managt, hätte ich niemals für möglich gehalten. Chaos und Desaster überall, richtiggehend zum Fremdschämen. Verschärft durch Rivalitäten zwischen Bund und Ländern und parteipolitische Interessen im Superwahljahr. Mein Webmaster, ein Prümer Junge in London, schaut geschockt und entgeistert auf Deutschland. Er ist kein Johnson-Fan. Aber er lobt, wie dort das Impfen und Testen millionenfach vorankommt. Im Gegensatz zu Deutschland. Mit dem derzeitigen Corona-Chaos der Politik kommt die Kulturbranche nicht vor Herbst 2021 wirklich in die Gänge.

Unermüdlicher Macher des renommierten Eifel Literatur Festivals Dr. Josef Zierden hat wieder Stars der Szene für Lesungen gewinnen können. Trotz der Unsicherheiten durch die Pandemie plant er zehn Lesungen im Frühjahr 2021. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Verlangt von der Politik mehr konstruktive Corona-Politik statt Chaos: Festivalleiter Dr. Josef Zierden. Archivbild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

EPA: Der Landkreistag Rheinland-Pfalz ein neues Pandemie-, Vorsorge- und Schutzkonzept mit Vorschlägen zur Beendigung der Lockdowns vorgelegt. Darin heißt es, dass der Inzidenzwert nicht der alleinige Parameter für die Entscheidung einer Öffnung oder Schließung sein dürfe. Erhoffen Sie sich durch dieses Papier auch neue Öffnungsperspektiven für Ihr Festival?

ZIERDEN: Von Öffnungsperspektive ist derzeit ja kaum noch die Rede, eher von verschärftem Lockdown. Hier Notbremsen und Ausgangssperren – und im Saarland Lockerungen bei steigenden Inzidenzzahlen. Das verwirrt und verunsichert. Da werden Corona-Wellen durchnummeriert, immer neue Lockdown-Namen kreiert. Aber in der Sache geht es zu wenig voran. Sogar der Corona-Gipfel am 12. April wackelt. Von einer möglichen „Chaos-MPK“ ist die Rede. Wie soll da konstruktive Corona-Politik herauskommen, sogar bundeseinheitlich? Der Länderwirrwarr wird weitergehen. Wie immer gleich nach jedem Corona-Gipfel…

EPA: Was denken Sie insbesondere über die „Schnelltest-Lösung“: Vor Veranstaltungen unterzieht sich jeder Besucher/jede Besucherin einem Schnelltest, wer ein negatives Testergebnis hat, der darf an der Veranstaltung ohne weitere Auflagen teilnehmen.

ZIERDEN: Testen eröffnet in der Tat Perspektiven für die Kulturveranstalter. Gesetzt: Es gibt genug Testkapazitäten und eine funktionierende Infrastruktur, bei der man nicht wochenlang auf Wartelisten harrt. Offen ist auch die Kostenfrage. Das Festival, das beim Vorverkauf auf 75 Prozent der üblichen Einnahmen verzichtet, kann nicht noch das Testen finanzieren. Und „Schnelltest-Lösungen“: Sind damit die Selbsttests von Aldi und Lidl gemeint, sehr unsicher in der Aussagekraft? Oder Schnelltests mit medizinisch geschultem Personal? Da wird es wieder Engpässe geben. Testen ist neben Impfen DER Lösungsweg. Gesetzt, das geschieht pragmatisch und nicht mit typisch deutscher Überbürokratie.

ELF-Festivalleiter Dr. Josef Zierden (links) begrüßte Publikumsliebling Pater Anselm Grün. Bild: Harald Tittel/ELF
ELF-Festivalleiter Dr. Josef Zierden (links) mit Publikumsliebling Pater Anselm Grün in Vor-Coronazeiten. Bild: Harald Tittel/ELF

EPA: Mit dem Eifel Literatur Festival sind Sie auch finanziell in Vorleistung gegangen. Wenn der Lockdown zum Dauerzustand wird, besteht dann die Gefahr, dass das Festival in eine finanzielle Schieflage gerät und könnte dies Folgen für die nächsten Festivals haben? Oder können Sie sich auch weiterhin auf Ihre Sponsoren verlassen?

ZIERDEN: Auf meine Sponsoren kann ich mich zum Glück ganz, ganz stark verlassen. Ohne die hätte ich gar nicht an den Start gehen dürfen für 2021, bei einem Verzicht auf 75 Prozent der üblichen Ticketeinnahmen. Einen Grundbestand aus Ausgaben für Grafik, Druck, Versand und Online-Service wie Homepage und Facebook gibt es ja weiterhin. Immerhin: Solange Veranstaltungen verschoben werden vom Frühjahr und Herbst, entfallen Kernausgaben für Honorar, Saalmieten, Technik usw. Dann kommen sie halt später. Es heißt, sparsam sein und die benötigten Mittel bereitzuhalten.

Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Dr. Josef Zierden fragt sich, wohin die Reise geht. Archivbild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

EPA: Einige Lesungen des ELF finden jetzt notgedrungen im Livestream statt. Wie sind da Ihre Erfahrungen? Ist das auf Dauer eine Lösung, oder anders gefragt: Wie wichtig ist der direkte Kontakt zwischen Autor und Publikum?

ZIERDEN: Livestream beim Festival ist nur ein Zusatzservice zur Saalveranstaltung. Schon das sind teuere Baustellen. Hochkarätige Festivalautorinnen und –autoren machen kein Streamen ins freie Netz mit, etwa zu YouTube oder Facebook. Zudem braucht es einen guten Technikpartner, der mehr als eine monotone Kamera-Dauereinstellung auf den Autor liefert. Das alles kostet zusätzliches Geld, das weitgehend erwirtschaftet werden muss: über bezahlte Zugangscodes. Das ist ein Angebot an alle, die keinen Einlass in den Saal finden können. Die riesige Anfahrtswege meiden wollen. Die selbst kürzere Anfahrtswege wegen Alter und Krankheit nicht mehr schaffen. Die Angst vor Corona haben. Oder die in Luxemburg in der nächtlichen Ausgangssperre feststecken. Die haben wir am Wochenende erstmals auch im Eifelkreis Bitburg-Prüm. Digitales Dabeisein gut und schön: Den realen Kontakt bei einer Saalveranstaltung kann es aber niemals ersetzen. Den Autor „zum Anpacken“: den gibt es nur bei physischer Präsenz im Saal.

Buchempfehlung von Dr. Josef Zierden in Zeiten der Pandemie: Daniela Strigl: Gedankenspiele über die Faulheit. Bild: Literaturverlag Droschl
Buchempfehlung von Dr. Josef Zierden in Zeiten der Pandemie: Daniela Strigl: Gedankenspiele über die Faulheit. Bild: Literaturverlag Droschl

EPA: Viele Menschen haben ja augenblicklich etwas mehr Zeit. Können Sie diesen Menschen ein Buch empfehlen, das sich in Zeiten der Pandemie zu lesen besonders lohnt, weil es vielleicht so etwas wie Gelassenheit inmitten der Krise vermittelt?

ZIERDEN: Stichwort „Gelassenheit“: Da empfehle ich aktuell das Büchlein „Gedankenspiele über die Faulheit“ von Daniel Strigl. Das ist nur 54 „faule Seiten“ stark. Geschrieben ist es von einer Literaturkritikerin und Essayistin, die eigentlich sehr fleißig ist. Aber umso mehr von immerwährender Faulheit träumt. Es ist ein Lob auf die Faulheit als innere Produktivität bei äußerer Passivität. Auf Faulheit als eine Form der Freiheit. Als Müßiggang schon geschätzt in der Antike. Eine heilsame Lektüre für alle workaholics, für die Ritter vom Herzinfarkt. Eine prima Lektüre in Zeiten der Pandemie, die unser aller Leben doch etwas entschleunigt und die Konzentration auf Wesentliches fördert!

EPA: Wir danken für das Gespräch.

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