Der Kaller Autor Andreas Züll hat sein erstes Schauspiel veröffentlicht – „Judenkind“ möchte die Diskussion um die zunehmende Gefahr von Rechts neu entfachen
Eifel – Der Autor Andreas Züll ist eigentlich eher für seine Lyrik bekannt. Jetzt hat er sich erstmals als Dramatiker versucht. Sein Theaterstück „Judenkind“ spielt in „irgendeiner“ deutschen Kleinstadt „irgendwann“ während des Krieges. Thomas, ein junger Soldat, ist auf Heimaturlaub bei seinen Eltern. Dort wird er mit einem strammen Nazi konfrontiert, einem Bekannten seiner Familie. Darüber hinaus gibt es noch einen Arzt, Dr. Pauli, der eine jüdische Familie versteckt hält und die deutsche Familie schließlich davon überzeugt, gemeinsam mit ihm ein kleines Mädchen vor den nationalsozialistischen Häschern zu retten.
Bis dahin klingt alles fast schon nach einer Genreszene aus dem Dritten Reich und wie eine von jenen Geschichten, die an mutige Deutsche erinnern wollen, die trotz der eigenen Gefahr Juden gerettet haben. Doch Züll ist perfide. Seine Geschichte ist nur auf den ersten Blick als affirmativ zu lesen. Er zeigt uns zunächst, dass jeder Mensch, solange er lebt, zahlreiche Möglichkeiten besitzt, auch in schweren Zeiten seine eigenen Entscheidungen zu treffen und sich damit der herrschenden Ideologie entgegenzustellen. Denn erst im Tod, so formuliert es der sterbende Dr. Pauli, ist man von seinen Möglichkeiten, Entscheidungen zu treffen, erlöst.
Sodann aber enttarnt Züll die Geschehnisse im Theaterstück in einem „Nachspiel“ als rein literarische Fiktion, und ernüchternd erfährt der Zuschauer, dass alles, was er gesehen hat, zwar die Möglichkeit eines anderen Handelns darstellte, eines Handelns, das in diesem Fall ein jüdisches Kind gerettet hätte, dass diese Darstellung aber eben nur ein literarisches Spiel mit Möglichkeiten war. So berichtet der Soldat Thomas vor dem geschlossenen Vorhang abschließend von den wahren Ereignissen der Geschichte: Der Doktor wurde verraten, die versteckten Juden von der Gestapo verschleppt. Und die vermeintlichen Helden des Dramas müssen sich daher eingestehen: „Wir haben nicht weg gesehen. Wir haben zugesehen. Und wir taten nichts.“ Oder anders: Man hat die Möglichkeit, lebensrettende Entscheidungen zu treffen, einfach verstreichen lassen.
Nicht über das Wegsehen, sondern über das Zusehen wollte der 28-Jährige denn auch schreiben. „Das Stück soll eben keine weitere solche Heldengeschichte um den Mythos des aufrechten Deutschen während der NS-Diktatur sein, sondern die Ohnmacht vor der Barbarei offenlegen und zur Wachsamkeit auch vor historischer Verklärung mahnen“, sagt er selbst zu seinem Schauspiel. Die zunehmende Gefahr von Rechts sieht der Autor mit großer Sorge: „Es kann nicht angehen, dass es schon fast wieder in Ordnung ist, ein bisschen rechts zu sein. Das Problem ist viel zu lange verharmlost oder gar nicht erst als solches betrachtet worden. Es wird Zeit, die Diskussion darüber wieder mitten in der Gesellschaft zu führen, damit wir den Rechten keinen Raum mehr geben!“
Sein „deutsches Schauspiel“ möchte Züll als Beitrag zu dieser Diskussion verstanden wissen. „Natürlich würde ich mir wünschen, dass ‘Judenkind‘ nicht nur Leser, sondern auch eine Bühne und Publikum findet“, so der Autor.
Andreas Züll: Judenkind. Ein deutsches Schauspiel in drei Akten. Shaker Media. ISBN 978-3-86858-924-5. 84 Seiten. 10,90 Euro.