Zahlreiche Interessierte und ehemalige Bewohner des Schleidener Höhendorfs, das 1946 von den Alliierten geräumt wurde, kamen zur Einweihung eines besonderen Erinnerungsortes – Dank an die NRW-Stiftung und die KSK-Euskirchen, die den Umbau ermöglicht hatten
Schleiden – 70 Jahre nachdem die Wollseifener in nur drei Wochen auf Befehl der britischen Militärverwaltung ihre Heimat verlassen mussten, erinnert jetzt eine Ausstellung in der ehemaligen Dorfschule an die schicksalhafte Geschichte dieser Menschen, die zu den wenigen Westvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg gehören. Zuvor fanden sich zahlreiche Interessierte, darunter auch viele ehemalige Wollseifener und ihre Nachfahren in der renovierten Pfarrkirche St. Rochus ein, um das Rochusfest zu begehen. Auf gewohnt unkonventionelle Weise wurde der Gottesdienst von Pfarrer Philipp Cuck zelebriert, der Unterstützung durch Diakon Klaus Hövel bekam. Cuck übernahm im Anschluss auch die Einweihung der alten Schule.
Der Vorsitzende des Traditionsvereins Wollseifen, Wilfried Ronig, berichtete, dass 16 ehrenamtliche Helfer zwischen sechs und 86 Jahren gut 1400 Stunden an dem Gebäude gearbeitet hatten. Fritz Sistig, der viele Jahre lang den Traditionsverein geleitet hatte und wohl als der bekannteste Wollseifener gelten darf, hatte noch bis Ende Weihnachten 2015 bei den Arbeiten mitgeholfen, bevor er erkrankte. Er war im Februar 2016 verstorben und seiner Hartnäckigkeit, aber auch seiner Kompromissbereitschaft war es wohl letztlich zu verdanken, dass dieser Erinnerungsort Wirklichkeit wurde.
Bereits 2012 hatte man mit den Planungen begonnen. Doch im Zuge der Diskussionen um den Abriss der Kampfhäuser, die noch aus der Zeit des Kalten Kriegs stammen und in denen man den Häuserkampf probte, wurde für ganz Wollseifen ein Bauverbot verhängt, von dem auch die Alte Schule betroffen war.
„Wir mussten zahlreiche Genehmigungen einholen und waren erstaunt, was es alles für Behörden gibt“, berichtete Ronig. Dennoch müsse er betonen, dass alle involvierten Behörden der Idee eines Erinnerungsortes aufgeschlossen gegenüber gewesen seien. „Jeder wollte helfen, keiner hat versucht, unser Anliegen zu verhindern“, so Ronig, der sich besonders bei Manfred Poth, Allgemeiner Vertreter des Landrats und Aufsichtsratsvorsitzender der Standortentwicklungsgesellschaft Vogelsang, bedankte. „Sie haben versprochen, uns zu helfen und haben Wort gehalten, was bei Politikern ja nicht immer selbstverständlich ist“, so Ronig. Poth konterte, er sei ja auch nur zur Hälfte Politiker und zur anderen Hälfte Verwaltungsfachmann.
„Wir sind unserem Ziel, Vogelsang in eine Erinnerungs- und Gedenkstätte zu verwandeln, mit dem heutigen Tag ein großes Stück näher gekommen“, betonte Manfred Poth in seiner anschließenden Ansprache. Mit der Erinnerungsstätte „Alte Schule“ werde das Gesamtensemble vervollständigt. Hier werde erlebbar gemacht, was Vertreibung und Heimatverlust bedeute und jeder, der sich diese Ausstellung ansehe, könne daraus die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen.
„Nach der Umgestaltung der Pfarrkirche St. Rochus war die Unzufriedenheit vieler Wollseifener mit Händen zu greifen“, berichtete Poth weiter. Die Erinnerungsstätte „Alte Schule“ sei daher auch als Wiedergutmachung für die von vielen Wollseifenern als nicht gelungen betrachtete Sanierung der alten Kirche zu verstehen. Besonders bedankte sich Poth beim Traditions- und Förderverein Wollseifen. Denn ohne diese gemeinnützige Einrichtung hätte man keine Fördergelder akquirieren können.
Der neue Leiter der Nationalparkverwaltung, Dr. Michael Röös, versprach, die Alte Schule zukünftig auch in die Öffentlichkeitsarbeit des Nationalparks Eifel einzubauen. Als einen Gruß von nicht eingeladenen Wollseifenern ließ er von seinem Handy den verlangsamten Sound von Zwergfledermäusen abspielen und erinnerte damit daran, dass Wollseifen für die Fledermäuse ein sehr wichtiger Ort ist, da man hier alle heimischen Arten findet. Auch die Alte Schule wurde daher so eingerichtet, dass Federmäuse hier im Dachbereich ein- und ausfliegen können.
Prof. Dr. Wolfgang Schumacher, Vorsitzender der NRW-Stiftung, die 51.000 Euro für das Projekt gestiftet hatte, betonte, dass man sich sehr gern für diesen Umbau eingesetzt habe. „Wir hoffen, dass sich die Wollseifener und die Gäste des Nationalparks über diese Einrichtung freuen“, sagte er und versprach, den Ehrenamtlichen für ihre nächste Party ein Fass Bier vorbei zu bringen. Am Rande der Veranstaltung berichtete Schumacher, dass die Eifel besonders gut von der NRW-Stiftung profitiere, da es hier noch sehr viele Fördervereine und Menschen gebe, die sich ehrenamtlich engagierten. Allein zwölf Millionen Euro an Stiftungsgeldern seien unter seinem Vorsitz bereits in die Eifel geflossen.
Neben der NRW-Stiftung zeigte sich auch die Kreissparkasse Euskirchen (KSK) von dem Projekt überzeugt. Nachdem Vorstandsmitglied Hartmut Cremer sich bereits im November 2014 vor Ort von den Plänen informiert hatte, flossen von der KSK 10.000 Euro und noch einmal 10.000 Euro vomn der Kulturstiftung Rheinland, die der KSK-Vorstandsvorsitzende Udo Becker und Hartmut Cremer rasch von der Wichtigkeit des Projekts überzeugen konnten.
Die Leiterin des KSK-Beratungscenters Schleiden, Sabine Poll, erinnerte an die lange Geschichte Wollseifens, die urkundlich bis ins 12. Jahrhundert zurückgeht, „also in eine Zeit, da Walther von der Vogelweide seine bedeutendsten Minnelieder verfasste, Hildegard von Bingen ihre wichtigsten Werke über Medizin und Mystik verfasste und Richard Löwenherz sich als Kreuzfahrer und englischer König hervortat.“ Die Geschichte der KSK Euskirchen sei zwar bedeutend kürzer, doch sei die Kreissparkasse Schleiden bereits 1898 gegründet worden. „Als daher die Bitte an uns herangetragen wurde, dem Traditionsverein beim Umbau der Alten Schule finanziell unter die Arme zu greifen, um einen Ort des Erinnerns zu schaffen, haben wir nicht lange überlegt“, berichtete sie und erntete dafür Zwischenapplaus.
Der ehemalige belgische Kommandant von Vogelsang und wohl beliebteste Militär in der Nordeifel, Victor Neels, appellierte besonders an die Jugend, diesen Ort in Ehren und die Erinnerung an die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs und an die Folgen aufrecht zu halten. Neels bezeichnete das Schicksal Wollseifens als „Kriegsdrama“, das Folge menschlichen Versagens in der großen Politik gewesen sei. Für ihn und alle Belgier seien die Deutschen nach 1945 zunächst allesamt Schuld am Unglück der Belgier während zweier Weltkriege gewesen. Erst als er seine Frau in Deutschland kennengelernt habe, mit der er bereits seit 70 Jahren zusammen sei, habe er angefangen, anders zu denken. Heute sei Wollseifen ein Denkmal der neuen deutschen Geschichte und Deutschland ein Pfeiler der friedlichen Zukunft. Der 91-Jährige appellierte daran, die Hoffnung auf ein vereintes Europa als Schutzeinrichtung in einer unberechenbaren globalisierten Welt nicht aufzugeben und mahnte vor „nationalistischem Gepinkel“ einzelner Mitgliedsstaaten. Jetzt sei die Jugend an der Reihe, am vereinten Europa weiterzubauen.
Gabriele Harzheim, Wissenschaftliche Referentin der Akademie Vogelsang, die die Ausstellung in der Alten Schule maßgeblich konzipiert hat, berichtete von den schwierigen Bedingungen, die man vor Ort vorgefunden habe. Denn es gab und gibt dort weder Strom noch Heizung, so dass man beispielsweise auch keine Originalfotos ausstellen konnte. Aus diesem Grund habe sie sich dazu entschlossen, das Schulische der Einrichtung aufrechtzuerhalten und Pulte und Tafeln zu installieren, auf denen die Geschichte Wollseifens vorgestellt wird. Auf 100 Quadratmetern kann der Besucher das dörfliche Leben vor dem Zweiten Weltkrieg nun nachempfinden. Die Neuzeit beginnt mit dem Bau der Urftalsperre. Man erfährt auch, dass es Wollseifen erspart geblieben ist, ein NS-Musterdorf zu werden. Pläne dazu gab es bereits. Vertreibung, Truppenübungsplatz und der Nationalpark Eifel sind weitere Kapitel, die sehr ansprechend gestaltet wurden. Christel Küpper, Schwester des verstorbenen Fritz Sistig, war sich denn auch sicher, dass der Erinnerungsort ihrem Bruder sehr gefallen hätte.
Eifeler Presse Agentur/epa