„Herz und Leidenschaft rufen nach Fortsetzung, Alter und Verstand aber bremsen“

Die „Eifeler Presse Agentur“ sprach mit dem Leiter des Eifel Literatur Festivals, Dr. Josef Zierden, über ein besonderes Festivaljahr im Zeichen der Corona-Pandemie

Festivalleiter Dr. Josef Zierden blickt im Gespräch mit der EPA auf das 15. Eifel Literatur Festival zurück. Bild: Harald Tittel/ELF
Festivalleiter Dr. Josef Zierden blickt im Gespräch mit der EPA auf das 15. Eifel Literatur Festival zurück. Bild: Harald Tittel/ELF

EPA: Herr Dr. Zierden, das 15. Eifel Literatur Festival ist zu Ende. Es dürfte in der Festival-Geschichte als ein besonderes Jahr in Erinnerung bleiben. Terminverschiebungen, erkrankte Autoren, sich ständig ändernde Coronaregeln, mal war weniger, mal mehr Publikum zugelassen, dazu erstmals auch hier und da Streaming-Angebote im Internet statt Präsenz vor Ort. Mal ehrlich, kann man unter diesen Bedingungen als Veranstalter überhaupt noch glücklich werden?

Im Rahmen einer Lesung mit Peter Wohlleben belam Dr. Josef Zierden den Kulturpreis der Dr.-Hanns-Simon-Stiftung überreicht. Bild: Harald Tittel/ELF
Im Rahmen einer Lesung mit Peter Wohlleben bekam Dr. Josef Zierden am 26. November den Kulturpreis der Dr.-Hanns-Simon-Stiftung überreicht. Foto: Harald Tittel/ELF

ZIERDEN: Nur bedingt. Wenn Sie als Festivalveranstalter bis Juni 2021 unberechenbaren Corona-Turbulenzen ausgesetzt sind und sich dann endlich Silberstreifen am Horizont auftun. Wenn immerhin die letzte Festivalveranstaltung mit Wetterexperte Sven Plöger am 25. Juni die erste Veranstaltung ist, die überhaupt stattfinden kann. Und wenn sich für den Herbst 2021 abzeichnet: Literatur live kann stattfinden wohl bis zum Ende. Dann steigt das Glücksgefühl wieder an.

EPA: Nun war dem 15. Eifel Literatur Festival ja bereits im Namen das Wörtchen „kompakt“ beigestellt. Dahinter versteckte sich die nicht unerhebliche Tatsache, dass Sie aufgrund der Abstandsvorschriften der Corona-Schutzverordnung auf bis zu 75 Prozent der üblichen Ticketeinnahmen verzichten mussten, während Ihre Werbeausgaben quasi gleich blieben. Sind Sie am Ende überhaupt über die Runden gekommen und bleiben Ihnen Ihre Sponsoren gewogen?

Mit Dörte Hansen in der Karolinger-Halle in Prüm. Foto: Harald Tittel/ELF
Mit Dörte Hansen in der Karolinger-Halle in Prüm. Foto: Harald Tittel/ELF

ZIERDEN: Das muss am Ende die Finanzbuchhaltung zu 2020/2021 erweisen. Mehr als 40 Prozent der regulären Platzkapazität von 2018 war jedenfalls nicht möglich. Aber die 2-G-Regel bei Dörte Hansen und Sebastian Fitzek haben vollere Säle erlaubt. Zudem gibt es eine Bundesförderung für Kultur, die reduzierte Saalkapazitäten ausgleichen möchte. Ich hoffe, die hilft auch dem Festival 2021. Der Antrag ist seit August registriert.

EPA: Aufgrund des politisch desaströsen Umgangs mit der Coronakrise befürchteten Sie Ende 2020 für Deutschland eine „kulturelle Dürre“. Ihre Vermutung hat sich ja leider aufs Schlimmste bestätigt. Dennoch wollten Sie nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern für die Kultur kämpfen. Hat sich Ihr Kampf gegen das Vorschriftenchaos gelohnt und würden Sie diesen Kampf erneut auf sich nehmen?

ZIERDEN: Während ich diese Fragen beantworte, spitzt sich das Corona-Desaster ja auf nie erwartete Weise zu. Mit Rekordinzidenzen von über 700 bis über 2000 in Bayern, Thüringen und Sachsen. Hätte ich alles vorhergesehen, hätte ich wohl frühzeitig kapituliert. So kämpft man für Autoren und Publikum umso mehr, wenn man den Beinahe-Totalausfall im ersten Halbjahr 2021 hinter sich hat und endlich wieder Land in Sicht ist für Literatur live. Vergnügungssteuerpflichtig war das nicht!

Mit Nobelpreisträgerin Olga Tokartczuk in der Stadthalle Bitburg. Foto: Harald Tittel/ELF
Mit Nobelpreisträgerin Olga Tokartczuk in der Stadthalle Bitburg. Foto: Harald Tittel/ELF

EPA: Das Bewusstsein der Zeitgenossen wird derzeit ja fast zur Gänze ausgefüllt mit Nachrichten zur Corona-Pandemie. Der große deutschsprachige Satiriker Karl Kraus schrieb einmal: „Die Orthodoxie der Vernunft verdummt die Menschheit mehr als jede Religion. Solange wir uns ein Paradies vorstellen können, geht es uns immer noch besser, als wenn wir ausschließlich in der Wirklichkeit einer Zeitungsredaktion leben müssen.“ Anders gefragt, wie wichtig sind Literatur und eine sich darin entfaltende kritische Phantasie heute noch, wo doch in den Medien derzeit fast alles, was nicht in die selbstgezimmerte Schublade „vernünftig“ passt, sogleich diskreditiert, verrissen und als schädlich fürs Gemeinwohl erachtet wird?

ZIERDEN: Gerade wenn einen die politischen und journalistischen Grabenkämpfe zur Pandemie das Gehirn plattzudrücken versuchen, macht Literatur in der ganzen Vielfalt der Themen und Stile wieder den Kopf frei. Eine Zeitreise mit Daniel Kehlmann zum 30-jährigen Krieg, mit verblüffenden aktuellen Parallelen. Eine soghafte Lesung zum Wandel des Landlebens mit Dörte Hansen und immer wieder lebhafte Gesprächen zwischen Autoren und Besuchern: Das ist Sauerstoffzufuhr pur für das Gehirn. Und von den vielen Besuchern mit großem Aufatmen wahrgenommen.

Mit Jean-Luc Bannalec in der Stadthalle Bitburg. Foto: Harald Tittel/ELF
Mit Jean-Luc Bannalec in der Stadthalle Bitburg. Foto: Harald Tittel/ELF

EPA: Livestream sollte ja beim Festival nur ein Zusatzservice zur Saalveranstaltung sein. Begeistert waren Sie von dieser Möglichkeit zunächst ja nicht, da Ihrer Meinung nach der reale Kontakt zum Autor nicht ersetzt werden könne. Sind Sie mittlerweile anderer Meinung und glauben Sie, dass in der politisch forcierten Digitalisierung, die auch vor der Kulturszene nicht Halt macht, eher Fluch oder eher Segen liegt?

ZIERDEN: Anfang schien Livestreaming eine Notlösung zu sein in einer Zeit, in der Präsenzveranstaltungen im Saal verboten waren. Mit den Corona-Lockerungen ist Livestreaming zu einem Zusatzangebot geworden, das –je mehr Corona wieder heranrückte – aus vielen Gründen sehr positiv wahrgenommen wurde. Man müsse nicht bei ungünstiger Witterung und Dunkelheit weite Anreisewege auf sich nehmen. Man sei im heimischen Wohnzimmer vor Corona geschützt. Auch bei 2 G könne man als Nicht-Immunisierte teilnehmen. Sogar bei Quarantäne. Das sind viele positive Aspekte. Wenn ich dann noch sehe, dass das Livestreaming qualitätsvoll inszeniert worden ist, mit abwechslungsreicher Bildführung, habe ich mir das am Folgetage sogar selber sehr gerne angeschaut. Livestreaming wird künftig mehr sein als eine Notlösung, denke ich.

EPA: Ihr Einsatz für das Eifel Literatur Festival ist ja erneut nicht unbemerkt geblieben. Im Rahmen einer Lesung mit Peter Wohlleben haben Sie am 26. November den Kulturpreis der Dr.-Hanns-Simon-Stiftung überreicht bekommen, als sechster Preisträger in der 50-jährigen Stiftungsgeschichte – und als erster Prümer. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Mit Ingo Schulze im Gespräch. Bild: Harald Tittel/ELF
Mit Ingo Schulze im Gespräch. Bild: Harald Tittel/ELF

ZIERDEN: Im heimatlichen Eifelkreis diese seltene wie hochkarätige Auszeichnung erhalten zu haben, hat mich besonders gefreut. Denn an das Wort vom Propheten, der im eigenen Vaterland nichts gelte, habe ich schon häufig denken müssen. Die meisten Impulse für Auszeichnungen kamen ja aus Mainz, fern der Eifel.

EPA: Nun haben wir viel über die schwierigen Umstände beim Festival 2021 gesprochen und noch gar nicht über das Festival selbst. Es soll aber nicht vergessen werden, dass es Ihnen trotz aller Widrigkeiten doch wieder einmal gelungen ist, eine ganze Reihe von hochkarätigen Literaturveranstaltungen auf die Beine zu stellen. Was waren für sie persönlich die literarischen Höhepunkte des Festivaljahres?

ZIERDEN: Mein Lebensthema „Leben auf dem Lande“ hat Dörte Hansen mit ihrem wunderbaren Roman „Mittagsstunde“ perfekt getroffen. Eine wunderbare Autorin, die gehobene Unterhaltung schreibt und genau einen Tag vor der Lesung in Prüm mit dem Mainzer Stadtschreiberpreis ausgezeichnet worden ist. Ein literarischer Adelsschlag. Dass ich sie persönlich treffen konnte, dass ich ihr Fragen zum Werk und zur täglichen Schreibarbeit stellen durfte, hat mich sehr gefreut. Ebenso, dass viele Besucher im Saal die Autorin mit Fragen gelöchert haben. Extra für diese Leute im Saal und einige hundert am Livestream-Bildschirm war Dörte Hansen mit dem Zug viele hundert Kilometer in die Eifel gereist.

EPA: Sie schaffen es immer wieder, extrem gefragte Autoren und Autorinnen in die Eifel zu locken, darunter auch einige, die als sehr schwierig zu akquirieren gelten – wie schaffen Sie das?

ZIERDEN: Ich setze auf die Überzeugungskraft der ersten Briefanfrage. Und ggf. auf die Ausdauer beim Nachhaken. Dass dieses Festival ehrenamtlich, aber professionell und leidenschaftlich organisiert wird, muss rüber kommen. Und viele Autorinnen und Autoren muss ich gar nicht mehr groß überzeugen nach 27 Jahren. Das Festival ist ihnen bestens bekannt. Sie freuen sich über die Nachfrage.

EPA: Aufgrund der geografischen Lage heißt ihr Festival „Eifel“ Literatur Festival – kommt denn Ihr Publikum auch aus anderen Regionen zu Ihnen? Wie weit sind die Kreise, die das Festival mittlerweile zieht?

Mit Daniel Kehlmann in der Stadthalle Bitburg. Foto: Harald Tittel/ELF
Mit Daniel Kehlmann in der Stadthalle Bitburg. Foto: Harald Tittel/ELF

ZIERDEN: Das Publikum kommt schwerpunktmäßig aus dem Raum Eifel, Mosel, Hunsrück und Ahr. Aber auch aus anderen teilen der Republik wie NRW, Saarland, Baden-Württemberg, Bayern und sogar Bremen. Grenzüberschreitend aus Belgien, Luxemburg und Österreich. Mit vielen bin ich am Signiertisch ins Gespräch gekommen. Manche verbringen ein verlängertes Wochenende in der Eifel, um etwa Bannalec und Tokarczuk an zwei Tagen hintereinander erleben zu können. Einen der erfolgreichsten Krimiautoren Europas und eine hochkarätige Nobelpreisträgerin für Literatur aus Polen. Und dass mit Olga Tokarczuk aus Polen die fünfte Persönlichkeit mit Nobelpreis-Ehren beim Festival zu Gast war, hat mich besonders gefreut. Als Nobelpreisträger für Literatur waren darüber hinaus in den Vorjahren zu Gast Imre Kertesz, Günter Grass, Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch.

EPA: Zum Schluss noch eine ganz private Frage: Eigentlich wollten Sie ja, nicht zuletzt aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen, bereits nach dem 14. Eifel Literatur Festival von der Festivalleitung zurücktreten und das Geschehen aus der zweiten Reihe betrachten. Das scheint Ihnen nicht gelungen. Wie sind jetzt Ihre weiteren Pläne. Planen Sie schon für 2023? Oder ist es jetzt doch mal Zeit für den Ruhestand?

ZIERDEN: Ja, Abschied nach 27 Jahren Festival will geübt sein. Ich übe noch. Herz und Leidenschaft rufen nach Fortsetzung. Viele Besucher drängen unter dem frischen Eindruck wunderbarer Sternstunden für Literatur 2021. Alter und Verstand aber bremsen. Das Ringen ist noch nicht entschieden.

 Eifeler Presse Agentur/epa

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