Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels las aus seinem neuen Roman: „Das Alphabet bis S“ – 220 Besucherinnen und Besucher spendierten viel Beifall
Bitburg – Anspruchsvoll war sie schon: die Lesung mit Navid Kermani beim Eifel-Literatur-Festival im ausverkauften Festsaal von Haus Beda in Bitburg. Kermani ist Islamwissenschaftler, Publizist, Reporter. Geboren in Siegen, lebt er in Köln. Und gilt als einer der bedeutendsten und vielseitigsten Intellektuellen Deutschlands, ausgezeichnet etwa mit dem hochkarätigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015.
Mit im Handgepäck in Bitburg: Sein jüngster Roman „Das Alphabet bis S“, ein 600 Seiten starker und hochkomplexer Romanwälzer. Mit kurzen Auszügen aus den 365 undatierten Tagebucheintragungen und kurzen Erläuterungen legte Kermani wichtige Motivstränge des Romans frei: die Ich-Erzählerin, erfolgreiche Schriftstellerin und bedeutende Intellektuelle mit iranischen Wurzeln, aber in einer Lebenskrise. Die Mutter gestorben, Trennung vom Mann, der Sohn schwer erkrankt (Herzinfarkt). Um letzte Fragen des Lebens kreisen die Tagebucheintragungen ebenso wie um triviale Alltagsprobleme.
Zuweilen verstummt das Tagebuch sogar unter der Last des Schicksals. Johannes Zierden, der neue Leiter des Eifel-Literatur-Festivals, hatte Publikum und Ehrengäste begrüßt. Und er half, mit Fragen an den Autor im Anschluss an die Lesung den komplexen Roman zu erschießen. Warum die weibliche Erzählperspektive bei einer Schriftstellerin, die biographisch vieles mit Kermani gemeinsam hat? Warum die Form des Romans mit dem munteren Durcheinander der Genres? Ein Buch über Bücher – und welche Bedeutung das Lesen für Kermani habe. Ob er Halt finde im Glauben, um den die Romanfigur ringt. Was er über die aktuelle Lage im Nahen Osten denke.
Und schon sprudelten die erhellenden Antworten von Kermani. Eine weibliche Erzählerin: das half Kermani zur erzählerischen Distanz zum eigenen Leben. Die Tagebuchform: die habe er früh vor Augen gehabt, wobei das Element des Zufalls ihm wichtig gewesen sei. Die genreoffene Form helfe dem Roman zu mehr Lebensnähe. Wie man in Deutschland überhaupt einen viel zu engen Romanbegriff habe, was Beifall hervorrief.
Bücher und lesen: die seien unabdingbar auch fürs Schreiben. Jedes Buch bestehe wieder aus vielen gelesenen Büchern, sein Leben besteht wesentlich aus Lesen. Und zur aktuellen Lage im Nahen Osten: Da fand seine dringliche Hoffnung auf einen Waffenstillstand in Gaza ganz starken Beifall beim Publikum. Mit einer weiteren Passage aus dem Roman hatte die Literatur das letzte Wort am Festivalabend. Mit viel Beifall quittierten die 220 Besucher Lesung und Gespräch und reihten sich ein in die Signierschlange. (eB)