Den Menschen mit Behinderung sichtbar machen

Thorsten Baur ist der neue Team-Leiter des Fachdienstes NEW-JOB, dem Dienstleister für Menschen mit Behinderung rund um die Arbeitswelt – Barrieren auch in Köpfen abbauen

Thorsten Baur ist der neue Leiter von NEW-JOB, Fachdienst der Nordeifelwerkstätten und Dienstleister für Menschen mit Behinderung. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Thorsten Baur ist der neue Leiter von NEW-JOB, Fachdienst der Nordeifelwerkstätten und Dienstleister für Menschen mit Behinderung. Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

Kreis Euskirchen – „Wir suchen innerhalb der Nordeifelwerkstätten Talente, die gute Chancen auf dem 1. Arbeitsmarkt haben. Gemeinsam mit den Beschäftigten erarbeiten wir, was es braucht, um einen guten Übergang zu schaffen “, so beschreibt Thorsten Baur, der neue Leiter des Fachdienstes NEW-JOB, einen wichtigen Teil seiner Arbeit. Die Nordeifelwerkstätten (NEW) sind umfassender Dienstleister für Menschen mit Behinderungen von psychischen Beeinträchtigungen bis Schwerstmehrfachbehinderung und Werkstatt-Standorten sowie Außenarbeitsplätzen im gesamten Kreis Euskirchen. Ein wichtiges Ziel der NEW ist die gesellschaftliche Teilhabe auch in der Arbeitswelt, weshalb auch die NEW-JOB gewissermaßen als eigene „Arbeitsagentur“ für Vermittlung von Praktika, Außenarbeitsplätzen, aber eben auch zur beruflichen Qualifizierung für Menschen mit Beeinträchtigungen gegründet wurde.
„Wir sind vielleicht bei 20 Prozent umgesetzter Inklusion, obwohl wir mittlerweile eine aufgeschlossene Gesellschaft haben und sich einiges entwickelt hat. Aber wir müssen noch sehr viele Barrieren aus dem Weg räumen – nicht nur rein praktischer Art in der Arbeitswelt, sondern auch in den Köpfen der Menschen“, so Baur. Er ist überzeugt: „Wir können als Gesellschaft nur wachsen, wenn wir die Vielfalt leben, die Möglichkeiten aller sehen und diese Möglichkeiten auch nutzen.“ Dies könne sogar den Fachkräftemangel lindern, denn eine hoch qualifizierte Fachkraft könne bei Arbeiten, die ein Mensch mit Beeinträchtigungen auch erledigen kann, entlastet werden, womit Zeitkontingente frei würden. Die Herausforderung sei, durch viele Abstimmungsprozesse das Optimale für alle Beteiligten zu erreichen. Thorsten Baur: „Außerdem erhalten die mitmachenden Unternehmen sehr loyale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Das wirkt sich meist positiv auf die Gesamtbelegschaft aus.“
Der aus Niedersachsen gebürtige Wahl-Euskirchener erklärt, wie das in der Praxis abläuft: „Wir sprechen einen geeigneten NEW-Angehörigen an und fragen, ob er oder sie sich einen Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt vorstellen kann. Die Bedürfnisse unserer Menschen stehen immer im Mittelpunkt.“ Ein Job-Coach der NEW-JOB klärt dann in Gesprächen mit dem potenziellen Kandidaten und der jeweiligen Gruppenleitung, welche Arbeitsbereiche vorstellbar sind, wo Stärken, Schwächen und Vorerfahrungen sind. Baur: „Manche unterschätzen ihre Fähigkeiten, manche überschätzen sie. Es kann jemand vielleicht gut mit Kindern umgehen und sich deshalb eine Arbeit im Kindergarten vorstellen, ist aber so lärmempfindlich, dass die Lautstärke einer ganzen Kindergartengruppe zu belastend ist.“
Wünsche und Vorstellungen der zu vermittelnden Personen müssen also genau beleuchtet werden. Innerhalb der NEW wird dann im Vorfeld die Möglichkeit zu Schulungen, Qualifizierungen und Weiterbildungen gegeben. Thorsten Baur hat dazu am Werkstattstandort Kall als „Stärkung Empowerment für den allgemeinen Arbeitsmarkt“ eine Betriebsakademie ins Leben gerufen, in der in vier Kurseinheiten grundlegende Fragen geklärt werden, etwa wie man Unterstützung bekommen kann, wie man das wahrnimmt, was man auf seinem Weg benötigt, und wie und bei wem man dies äußern kann.

Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt zu unterstützen ist erklärtes Ziel von Thorsten Baur Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa
Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt zu unterstützen ist erklärtes Ziel von Thorsten Baur Bild: Tameer Gunnar Eden/Eifeler Presse Agentur/epa

„Menschen mit Behinderung benötigen oft mehr Zeit für die Entwicklung. Deshalb beginnt der Übergang vom geschützten und in sich eher geschlossen System Werkstatt für Menschen mit Behinderung meist mit einem Praktikum“, so der 50-Jährige. Das kann schon direkt in einem Betrieb auf dem 1. Arbeitsmarkt sein oder in einem NEW-eigenen Unternehmen sein. Denn die Nordeifelwerkstätten betreiben unter anderem den „Bügelprofi“, Kantinen, Lebensmittelmärkte und mit EuLog eine Lager- und Logistikfirma. Aber auch innerhalb der Werkstatt gibt es viele Arbeitsfelder wie Garten- und Landschaftsbau, Montage oder Verpackung, die erprobt werden können.
„Manchmal stellt man dann fest, dass der Bereich doch nicht so passt, unerwartete Hindernisse auftauchen oder eine Über- oder Unterforderung feststellbar ist. Vielleicht habe ich als Job-Coach auch etwas nicht wahrgenommen oder ausreichend geklärt – dann müssen wir nachjustieren und eine bessere Möglichkeit finden“, sagt Thorsten Baur. Wenn das Praktikum gut läuft, kann es in einen Betriebsintegrierten Arbeitsplatz (BiAP) übergehen. Dies sind geförderte Stellen, wodurch sich nicht nur wirtschaftliche Vorteile für das Unternehmen ergeben, so der NEW-JOB-Leiter: „Die Menschen, die wir vermitteln, besitzen eine hohe Motivation, sind gut auf ihre Aufgaben vorbereitet und haben einen Inklusionshelfer und einen Teamleiter an der Seite. Es gibt regelmäßigen, normalerweise wöchentlichen Kontakt mit dem oder der Beschäftigten sowie Gespräche mit dem Unternehmen. Dabei werden Erfahrungen ausgetauscht, Entwicklungspotential oder Optimierungsbedarf geklärt.“ Nicht selten führt ein BiAP dann in eine Festanstellung.
Thorsten Baur: „Ziel ist es, dass Menschen mit Behinderung passgenau, wohnortnah, nach Bedürfnissen und Fähigkeiten in der freien Wirtschaft arbeiten können. Wir möchten Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft sichtbarer machen – mit ihren nun einmal vorhandenen Einschränkungen, aber eben auch mit ihren Fähigkeiten und besonderen Stärken.“ Besondere Freude bereitet es ihm, die starken Veränderungen zu beobachten, wenn sich Menschen zu dem Schritt raus aus der Werkstatt und hinein in die allgemeine Arbeitswelt begeben. „Das verändert sehr stark, es werden viele Prozesse angestoßen, die sich auch auf das Privatleben auswirken. Es führt auch zu einer stärkeren Selbstreflexion, deutlicheren Selbstwahrnehmung und zu mehr Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit.“ Es können aber auch Schwierigkeiten auftauchen, etwa durch die Herausforderung, sich vom Zuhause zu lösen. Thorsten Baur: „Manche kommen aus sehr behüteten Verhältnissen, was erst einmal gut ist. Mit anderen Anforderungen konfrontiert zu werden, kann erst einmal Probleme schaffen. Aber wir versuchen, das Wissen zu vermitteln, wie man damit umgeht, um sich weiterentwickeln zu können und selbständiger zu werden.“
Als Thorsten Baur 2013 zu NEW-JOB wechselte, waren es auch seine eigenen Erfahrungen, die ihn qualifizierten. Denn er lebt mit einer Hemiparese, wie er sagt: „Meine rechte Körperhälfte macht also nicht immer das, was ich will, die Muskeln verkrampfen sich schnell.“ Aus- und Fortbildungen sind ein wichtiger Teil seines Lebens: Der Kommunikationswirt, Werbekaufmann und Integrationsberater absolviert zurzeit noch berufsbegleitend die Ausbildung zur Fachkraft für Berufsförderung. Durch verschiedene Berufserfahrungen unter anderem in der Touristik hat Thorsten Baur ein großes Netzwerk zur Verfügung, das ihm auch hilft auf der ständigen Suche nach weiteren Betrieben, die Menschen mit Behinderungen eine Arbeitsmöglichkeit geben.
In der Eifel fühlt er sich „genau richtig am Platz“. Die Menschen seien vielleicht anfangs etwas raubeinig, aber sehr ehrlich und verbindlich: „Hier wäscht eine Hand die andere, mir begegnet viel Offenheit. Das macht Spaß und erleichtert mir die Arbeit.“ Die Arbeit selbst sei sehr facettenreich: „Ich muss mich schnell und gut in verschiedene Bereiche einarbeiten. Wenn ich alle wichtigen Infos von allen Seiten habe, beginnen Abstimmungsprozesse, die eigentlich nie enden, sondern immer wieder überprüft und optimiert werden, um Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten.“ Einer seiner Lieblingsplätze im Kreis Euskirchen ist die Kakus-Höhle in Mechernich-Dreimühlen, die für ihn Zweierlei ist: Tolles Naturerlebnis und spannende prähistorische Fundstätte. Reizvoll findet er aber auch die Niederlande, wegen Landschaft und Kultur und durch die Lockerheit und Offenheit der Niederländer.

Eifeler Presse Agentur/epa

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