Das Therapiezentrum Düren-Nordeifel als Tochter der Lebenshilfe HPZ gGmbH unterstützt Menschen im Autismus-Spektrum auf ganzheitliche Art und bezieht auch das soziale Umfeld ein – Von Musik- und Kunsttherapie bis Psychomotorik sorgt ein interdisziplinäres Team für einen ganzheitlichen, individuellen Ansatz
Düren – Einen Tag der Offenen Tür bot jetzt das Therapiezentrum Düren-Nordeifel. Dort unterstützt ein interdisziplinäres Team rund 120 Menschen mit Autismus – vom Kindesalter bis zum über 50-Jährigen. Wichtig ist dem Team aus 16 Therapeutinnen und Therapeuten mit unterschiedlichen Fachrichtungen wie Sozialpädagogik, Psychologie, Heilerziehung, Musik- und Kunsttherapie, Psychomotorik und mehr, ebenso ganzheitlich wie individuell zu schauen, welchen Unterstützungsbedarf es gibt und wie man diesen Menschen ein möglichst selbständiges Leben in einer Gesellschaft ermöglichen kann, die nicht unbedingt auf die Bedürfnisse von neurodiversen Menschen eingestellt ist.
Jasmin Marino Y Vieitez ist Diplom-Sozialpädagogin, Diplom-Sozialarbeiterin, Autismus-Therapeutin und Leiterin des Zentrums: „Menschen im Autismus-Spektrum sind so individuell wie alle anderen Menschen auch.“ Dementsprechend müssen auch die therapeutischen Ansätze auf die jeweilige Person abgestimmt sein. Ziel ist immer, Menschen im Autismus-Spektrum so zu begleiten, dass sie ihr individuelles Entwicklungspotenzial entdecken und entfalten können. „In der Regel kommen unsere Klientinnen und Klienten einmal die Woche für zwei Stunden zu uns“; so die Leiterin. Drei Jahre sind ein üblicher Therapiezeitraum, dieser kann aber bei Bedarf verlängert werden – bei Zusage der Kostenträger auch über sehr lange Zeiträume.
Die Gäste beim Tag der Offenen Tür erwartete ein engagiertes Team, das die jeweiligen Bereiche vorstellte. Im Bewegungsraum mit Sprossenwand, Schaukel, Weichbodenmatten und vielen besonderen Bewegungsmöglichkeiten wie etwa einem Rollbrett oder nachgebenden „Trittsteinen“ kann nicht nur spielerisch gefördert, sondern es können auch Grundlagen überprüft oder erarbeitet werden. In diesem Bereich arbeitet die Therapeutin Ina Stoll: „Für das Schreiben sind bestimmte Bewegungsmöglichkeiten Voraussetzung. Wer etwa an der Sprossenwand nicht überkreuz greifen kann, wird auch Schwierigkeiten beim Schreiben haben.“ Im Bewegungsraum können aber nicht nur bestimmte motorische Fähigkeiten trainiert werden, der Spaß- und Aufforderungscharakter der dortigen Möglichkeiten sorgt auch für eine gute Atmosphäre sowie für die Stärkung von Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit. Ina Stoll: „Die Erfahrung »Ich kann das« oder »Ich bin nicht auf andere angewiesen, um das zu schaffen«, kann sich auf die gesamte Lebenseinstellung auswirken.“
Beim Besuch des Reporters kommt eine Familie mit zwei Brüdern in den Raum. Die Familie wird vom Team freudig begrüßt, sofort machen sich die aufgeweckten Jungs an einen vorbereiteten Bewegungs-Parcours und bewältigen ihn auf Anhieb. Dann wird das Ganze auf Geschwindigkeit und schließlich rückwärtsgehend ausprobiert – mit Erfolg, Lob von Ina Stoll und Begeisterung mit leuchtenden Augen bei den Eltern. Die beiden Elfjährigen gehen mittlerweile auf eine Regelschule, der Vater berichtet, dass er aufgrund der positiven Erfahrungen und der Anstöße zu Bewegung als therapeutischem Ansatz einen kleinen Trainingsraum auch zuhause eingerichtet hat. Die Mutter drückt dem Team sichtlich bewegt ihre herzliche Dankbarkeit aus – wie gut sich die Jungen entwickelt hätten. Denn als die Kinder drei Jahre alt waren, galten sie als geistig behindert.
Doch wie schafft das Team es, Menschen so in ihrer Entwicklung zu fördern? Jasmin Marino Y Vieitez und ihr Stellvertreter Marius Görgen führen dies auf ein tolles Team zurück, das gerade durch die unterschiedlichen fachlichen Ausrichtungen sehr gezielt fördern könne. Ein stetiger fachlicher Austausch und Beratung mit Ärzten, Angehörigen und Psychologen sei ebenso selbstverständlich wie das Einbeziehen von Achtsamkeitsübungen oder Yoga, wenn es zur jeweiligen Person passt. Von der Lebenshilfe HPZ und der unternehmenseigenen Stiftung gebe es viel Rückhalt, einzig an die Kostenträger hat die Leiterin Wünsche offen: „Wir könnten noch viel mehr tun, wenn wir nur das Budget dafür hätten.“ So sind Spenden hochwillkommen. Das Team stellt oft in der Freizeit noch individuelle Lernmaterialien her, um die Therapien zu unterstützen.
Dies ist beispielsweise ein Ansatz von Simon Beyer, der mit ausgedruckten, laminierten Bildern und Klett Strukturhilfen erstellt. Damit können Abläufe nicht nur strukturiert, sondern auch in den einzelnen Schritten sichtbar und überprüfbar gemacht werden, etwa eine Anleitung zum Duschen. So kann dem Ziel, später selbständig oder im Betreuten Wohnen zu leben, nähergekommen werden. Derweil berichten Kunsttherapeutin Alexandra Swiontek und Musiktherapeut Peter Bernards über ihre Ansätze. Zwischen E-Bass, Keyboard, Percussion-Instrumenten und Geige auf der einen Raumseite und auf der anderen ein Tisch mit Blättern sowohl aus Papier wie vom Baum, Wachsmalkreide, Schablonen und mehr können sich die Klientinnen und Klienten auf besondere Weise ausdrücken. Peter Bernards: „Viele Menschen mit Autismus haben sehr hohe Ansprüche an das, was sie tun. Hier dürfen sie sich einfach auch ohne diesen Druck ausprobieren.“ Alexandra Swiontek über die gestalterischen Ansätze: „Wir nutzen Materialien wie Ton oder Speckstein, arbeiten 1:1 oder in Teams sowie Gruppen, je nach dem, was für wen gerade passt.“
Spannend wird es immer, wenn die Erkenntnisse und Fähigkeiten dann aus dem geschützten Rahmen ins Außen übertragen werden. So arbeiten die Autismus-Therapeuten (alle Mitarbeitenden werden im Haus und extern weiter geschult und fortgebildet) nicht nur im Therapiezentrum, sondern besuchen die Klientinnen und Klienten in ihrem Umfeld, ob zuhause, in Kindergarten oder Schule oder gehen mit ihnen auf den Marktplatz, wo ganz andere Reize ihre Wirkung zeigen.
Wie diese Reize auf einen Menschen im Autismus-Spektrum wirken können, konnten die zahlreichen Besucher und Besucherinnen auch in einem kleinen Film sehen. Dort wird ein Junge in einem Einkaufszentrum zunehmend mit Außenreizen konfrontiert, die ihn schließlich überfordern. Jasmin Marino Y Vieitez: „Es sind nicht nur die Reize von außen, die dazu führen.“ Denn aufgrund von MRT-Bildern wisse man mittlerweile, dass im Gegensatz zum neurotypischen Menschen, bei dem etwa ein sozialer Reiz nur einen kleinen Teil des Gehirns aktiviert, bei Menschen im Autismus-Spektrum quasi das gesamte Gehirn gleichzeitig aktiviert wird.
Überhaupt verändere sich der Forschungsstand zum Thema stetig, so Marino Y Vieitez: „Was noch vor zehn Jahren als Fakt galt, ist heute überholt.“ Etwa das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Personen mit Autismus. Nahm man früher an, dass weibliche Wesen mit Autismus eher die Ausnahme seien, sieht man das Verhältnis heute bei 2:1. Auch sei die Ansicht, dass Menschen mit Autismus keine Empathie oder sogar keine komplexen Gefühle haben könnten, zumindest im Pauschalurteil schlichtweg falsch: „Sie verarbeiten dies nur anders und reagieren vielleicht ungewohnt.“ Mit gezielter Therapie könne man da aber für mehr Verständnis sorgen.
Das Therapiezentrum Düren-Nordeifel wurde 2010 gegründet und befindet sich auf rund 800 Quadratmeter Fläche in Düren in der Glashüttenstraße 4. Das Einzugsgebiet hat zwar den Schwerpunkt in Düren und direkter Umgebung, aber die Klientinnen und Klienten kommen vereinzelt sogar aus Frechen, Duisburg, Essen und sogar Belgien und Luxemburg. Dazu betreibt die Lebenshilfe HPZ das Förderzentrum in Zülpich-Bürvenich, weitere Autismus-Zentren in Brühl, Mechernich und Euskirchen, bietet Beratung und Fortbildungen rund ums Thema an und in verschiedenen Betreuungsstufen nach dem Motto „so viel Betreuung wie nötig, so viel Selbständigkeit wie möglich“ auch Betreutes Wohnen für Menschen im Autismus-Spektrum.
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